Süddeutsche Zeitung

Zeitgeschichte:Acht Tyrannen

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Rezension von Christoph Dorner

Der französische Historiker Éric Vuillard hatte aus der Machtergreifung der Nazis eine Slapstick-Revue gemacht. Sein Buch "Die Tagesordnung" aus dem Jahr 2018 war ein Gegenentwurf zu all den minutiösen Recherchen zum Dritten Reich. Denn Vuillard konzentrierte sich auf den Effekt von Zerrbildern.

Nun hat sich der niederländische Historiker Frank Dikötter, ein Experte chinesischer Geschichte, Hitler vorgenommen und ihn in eine Reihe mit sieben weiteren Diktatoren des 20. Jahrhunderts gestellt. Neue Perspektiven auf das Grauen findet er dabei leider nicht.

Dikötters Auswahl, das merkt der Autor im Vorwort von "Diktator werden" selbst an, müsse Lesern unvollständig vorkommen: Warum hat er dem Mediziner Jean-Claude Duvalier ("Baby Doc") ein Kapitel gewidmet, der Haiti als eine Art Voodoo-Priester regierte? Warum fehlen wiederum Franco, Gaddafi, Mugabe, Saddam Hussein?

Schon hier bleibt der Autor eine überzeugende Antwort schuldig, vielleicht, weil er es ohnehin unterlässt, systematisch darzustellen, was die Diktatoren miteinander verbindet. Doch das ist nicht die größte Schwäche des Buchs.

Dikötter sieht im Personenkult eine zentrale Strategie der Machtergreifung und des Machterhalts. Er hat pro Diktator allerdings nur 25 bis zu 40 Seiten zur Verfügung, um einen kompakten und quellensatten Überblick zu liefern.

"Alle waren von Kriechern umgeben"

Für derartig problematische Figuren der Zeitgeschichte ist das äußerst knapp bemessen, zumal sich Dikötter entschieden hat, chronistenpflichtig zwischen Biografie, Wirkungsgeschichte und Psychogramm zu oszillieren.

Er richtet den Scheinwerfer vor allem auf die Selbstbildnisse der Diktatoren, auf ihre öffentlichen und massenmedialen Inszenierungen. Sie machen oftmals unscheinbare Männer zu strahlenden Illusionskünstlern.

Doch bevor man Staatsschauspielern wie Mussolini, Hitler oder Stalin näherkommt, muss Dikötter bereits auf wenigen Seiten abmoderieren, wie es mit ihren Regimen zu Ende ging. Dabei ist für die psychosoziale Rückkopplung zwischen Verführern und Verführten wenig Platz. Auch die Verschränkung von Propaganda- und Gewaltapparaten wird nicht eingehender analysiert.

Dikötter begnügt sich etwa mit der Erkenntnis, dass ein übersteigerter Personenkult zwangsläufig in Wahn und Paranoia kippen müsse. Sonst fehlen aufgrund des anthologischen Charakters des Buchs erhellende Erkenntnisse, die Schlussfolgerungen sind eher bündig.

Er schreibt: "Diktatoren belogen ihr Volk, aber auch sich selbst. Manche wurden zu Gefangenen ihrer eigenen Welt, überzeugt von ihrem eigenen Genie. Andere entwickelten ein krankhaftes Misstrauen gegenüber ihrem persönlichen Gefolge. Alle waren von Kriechern umgeben."

Das Buch hat zudem eine editorische Schwäche. So verspricht der deutsche Untertitel einen Zugang zur Wirkungsmacht von Populismus. Der Begriff wäre aufgrund seiner heutigen Omnipräsenz zumindest einführungswürdig. Er wird von Dikötter aber im gesamten Buch schlichtweg nicht verwendet.

Eine vertane Chance

Dabei hätte er womöglich eine Brücke zu den nationalistisch bis totalitär regierenden Machthabern der Gegenwart schlagen können. Doch Recep Tayyip Erdoğan, Baschar al-Assad und Chinas Präsident Xi Jinping werden im Nachwort nurmehr als Diktatoren modernen Gewands erwähnt.

Inwiefern sich Autokraten außer der Mechanismen des Personenkults auch des elitenfeindlichen oder rassistischen Denkens der großen Diktatoren des 20. Jahrhunderts bedienen, bleibt leider unausgeführt. Somit ist "Diktator werden" nur als eine vertane Chance zu werten.

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SZ vom 30.03.2020
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