Süddeutsche Zeitung

Haus der Wannsee-Konferenz:"Eingebettet in etwas Größeres"

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Urteil zur Attacke auf einen Kippa-Träger: Was den Täter in Berlin-Wannsee erwartet.

Interview von Ulrike Heidenreich

Nach dem Gürtel-Angriff auf einen Kippa tragenden Israeli in Berlin ist ein 19-Jähriger schuldig gesprochen worden. Das Gericht verhängte am Montag einen Jugendarrest von vier Wochen gegen den Syrer palästinensischer Herkunft. Außerdem muss Knaan Al S. an einer Führung durch das Haus der Wannsee-Konferenz teilnehmen. Hier wurde 1942 die Ermordung europäischer Juden organisiert. Ein Gespräch mit Elke Gryglewski, die dort die Bildungsabteilung leitet.

SZ: Was wird Knaan Al S. bei der Führung durch das Haus der Wannsee-Konferenz zu sehen bekommen?

Elke Gryglewski: In unserer ständigen Ausstellung wird er die Geschichte der Verfolgung der deutschen und europäischen Juden in der Zeit des Nationalsozialismus sehen. Er wird auch die ideologischen Vorläufer sehen, die zum rassistischen Antisemitismus geführt haben.

Kommt es öfter vor, dass Verurteilte Ihr Haus besuchen müssen - und bringen diese Pflichttermine überhaupt etwas?

Ja, diese Besuche gab es mehrmals. Vor allem rechtsextreme Jugendliche aus dem Brandenburgischen wurden zu einer Führung verpflichtet. Wir haben aber irgendwann darum gebeten, dass das nicht mehr als alleinige Maßnahme durchgesetzt wird. Wir waren uns nämlich überhaupt nicht sicher über den Lernerfolg. Ob dieser Besuch nicht einfach abgesessen wurde von den Jugendlichen und ob sie ihre Einstellung nicht doch beibehalten haben. Nur eine Führung halten wir auch im Fall des 19-Jährigen nicht für sinnvoll, es muss eingebettet sein in etwas Größeres.

Was könnte das sein?

Mehrere Besuche und persönliche Gespräche. Es geht ja darum, ein grundsätzlicheres Verständnis zu schaffen, warum seine Tat hoch problematisch und strafrechtlich relevant ist. Er ist ein jugendlicher Geflüchteter. Das heißt, er hat einen anderen Hintergrund als brandenburgische Jugendliche mit rechtsextremer Haltung. Ich weiß ja nicht, wie er sozialisiert ist und was die Ursachen für seine Gewalttat waren. Das müssen wir erst einmal herausfinden.

Die Rapper Farid Bang und Kollegah, deren Liedzeile "Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen" einen Skandal ausgelöst hatte, waren einer Einladung in die KZ-Gedenkstätte in Auschwitz gefolgt - und zeigten sich danach erschüttert.

Da gibt es Parallelen. Nach einem Besuch eines Gedenkortes können sich durchaus Irritationen einstellen: ein Feststellen, wie ignorant das eigene Verhalten war. Aber auch im Fall der Rapper handelte es sich ja nicht nur um eine einstündige Führung. Es war ein ganztägiger Besuch und ich vermute, dass die Kollegen in Auschwitz intensiv mit ihnen ins Gespräch gegangen sind.

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Quelle:
SZ vom 27.06.2018
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