Süddeutsche Zeitung

Hamburg-Blankenese:Reich und rot

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Der schicke Stadtteil sieht genauso aus, wie man sich ein CDU- und FDP-Viertel vorstellt. Aber am Sonntag wählten 41 Prozent die SPD. Warum? Ziemlich leicht zu erklären.

Von Peter Burghardt, Hamburg

"Für mich ist das noch ganz unwirklich", sagt Philine Sturzenbecher. "Ich muss mich regelmäßig kneifen." Sie schaut hinab auf den schönsten Teil ihres Reviers, die frisch gewählte Bürgerschaftsabgeordnete der Hamburger SPD für Blankenese, Wahlkreis 4.

Unter ihr liegen die Elbe und das berühmte Treppenviertel mit seinen verschachtelten Häusern am Hang. Ein Containerschiff fährt vorbei, für einen Moment zeigt sich die Sonne.

Blankenese ist wie ein Etikett der Hansestadt beziehungsweise ihrer schicken und reichen Elbvororte. "Die hanseatische Riviera", heißt es. "Ein Dorf, das wie ein Eden liegt", dichtete Hans Leip. Für den Schriftsteller Gorch Fock war es das "Montevideo des Nordens", warum auch immer. Zu den Bewohnern von Blankenese gehören prominente Menschen.

"Hier ist es halt schön", sagt Philine Sturzenbecher in Mantel, Mütze, Schal. "Eine Sehnsuchtsgegend."

Eine rote Bastion würde man hier nicht zwingend verorten. Früher hatte die CDU in Blankenese mehr als 50 oder 60 Prozent, 2008 waren es 57,4 Prozent. Die SPD damals: 20,8 Prozent. In gut zehn Jahren hat die Union ihr Blankeneser Ergebnis dann geviertelt und die SPD das ihre verdoppelt. Seit 2011 erobern die anderswo so existenzkriselnden Sozialdemokraten Hamburg wieder insgesamt und sogar diesen Elbvorort, zu dessen Wahlbereich auch gute Lagen wie Rissen und nicht so wohlhabende Nachbarschaften wie Osdorf und Lurup gehören.

41,2 Prozent der Stimmen waren es am vergangenen Sonntag für die Landesliste der SPD in Blankenese und 33,5 Prozent für die Wahlkreisliste, dreimal bis fast doppelt so viel wie für die CDU. Die FDP kam hier immerhin auf 7,8 Prozent für die Landes- und 10,2 Prozent für die Wahlkreisliste; mit der Folge, dass sie zumindest eine Abgeordnete in die Bürgerschaft schickt: Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein, ihre Spitzenkandidatin, gewann eines der fünf Direktmandate in diesem Revier. Aber zwei dieser Mandate hat die SPD erobert, eines davon im ersten Versuch Philine Sturzenbecher, 38 Jahre alt. Wie kann das sein, dass die Sozialdemokraten diesen Beritt inzwischen dermaßen für sich eingenommen haben?

Philine Sturzenbecher biegt ab in einen der gepflegten Parks, Vögel zwitschern. "Sehr grün, sehr behütet", sagt sie. "Wobei die Leute hier gar nicht so eingebildet sind, wie es immer heißt. Eher bodenständig. Bürgerlich." Die Grünen sind im Wahlkreis 4 Blankenese übrigens die Nummer zwei, 20,6 Prozent. Viele jüngere Leute stimmten für die Grünen und Katharina Fegebank, die Zweite Bürgermeisterin des rot-grünen Senats. Die meisten älteren Leute bevorzugten Peter Tschentscher, den Ersten Bürgermeister von der SPD.

Was zum Beispiel ein Faktor ist: dass der Sozialdemokrat ein blaues Sakko trägt

Auch Hamburg-Blankenese konzentriert sich auf Tschentscher, diesen besonnenen, einer Mehrheit vermittelbaren Mann, den vormaligen Finanzsenator und Laborarzt. "Eine absolut rationale Entscheidung", sagt Philine Sturzenbecher. Sie kennt Konservative, die nicht mehr CDU oder FDP angekreuzt hätten, sondern SPD: Die einen nahmen dieses Mal die SPD, weil die CDU kaum etwas anzubieten hatte. Die anderen wollten mit Stimmen für die SPD die Grünen klein halten.

Die Hamburger SPD ist die Hamburger SPD, mit der Bundes-SPD eines Norbert Walter-Borjans und einer Saskia Esken will sie wenig zu tun haben. Es ist die Stadt-SPD von Helmut Schmidt, von Olaf Scholz. Eine wirtschaftsliberale Sozialdemokratie, zu deren Bürgermeistern auch Männer wie Klaus von Dohnanyi zählten. Es waren meist Hanseaten in dunkelblauen Sakkos, "unaufgeregt und präsentabel", wie Philine Sturzenbecher es nennt. Die SPD habe der CDU konservative Themen abgeluchst, das "und diese Beständigkeit, das wirkt".

In Ole von Beust hatte Hamburgs CDU mal eine populäre Figur, trotz dessen zwischenzeitlichen, skandalösen Pakts mit dem Rechtsausleger Ronald Schill. Wegen Schill trat Philine Sturzenbecher 2001 in die SPD ein, im Jahr nach ihrem Abitur am Blankeneser Gymnasium, es sei eine Stimmung wie jetzt nach Thüringen gewesen. Mitglied beim FC St. Pauli ist sie ebenfalls. Sie studierte Politik in Marburg, wo sie mit marxistischen Ideen wenig anfangen konnte, ging mit ihrem Mann nach Hessen, kam nach der Geburt der Tochter zurück nach Blankenese. Und trat an für die SPD. "Ich mache", dachte sie sich, weil es jüngere Politikerinnen braucht, die sich trauen. Sie diskutierte im Wahlkampf im Dauerregen, sie war durchnässt, sie entdeckte die Wahlkämpferin in sich, es hat sich gelohnt. "Philine Sturzenbecher", steht auf ihren Flyern, darunter groß SPD und darunter Tschentschers durchschlagendes Motto: "Die ganze Stadt im Blick."

Sie geht hinab zu einem anderen Aussichtspunkt, wieder Elbblick, die Blankeneser Stadtvertreterin Sturzenbecher mag diese Weite. Drüben am anderen Ufer liegt das Werk von Airbus. Gegenüber erhebt sich der Süllberg, 74,6 Meter hoch, eine Hamburger Größe. Die SPD-Kandidatin Sturzenbecher war Anfang Januar dort oben im Sternerestaurant erstmals beim Blankeneser Neujahrsempfang. Sie begleitete ihren Vater, in dessen Versicherungsbüro arbeitet sie teilweise.

Mehr als 1000 Geladene, die Gästeliste umfasst 136 Seiten, Klaus Schümann überreicht einem das Büchlein auf der Ledercouch in seinem Büro. Er ist der Erfinder und Leiter des beliebten Elbvorortmagazins Klönschnack, ein wenig Kir Royal auf hamburgisch, sowie des Blankeneser Neujahrsempfangs, eines Fixpunkts der Stadtgesellschaft.

Der Leiter vom "Klönschnack" erzählt die Geschichte von einem Freund, dem Justitiar

Die Reden auf dem Süllberg hielten Peter Tschentscher von der SPD, Friedrich Merz von der CDU, Christian Lindner von der FDP und die Grüne Claudia Roth. 2019 waren es Tschentscher, Annegret Kramp-Karrenbauer, Sigmar Gabriel und Robert Habeck. An Schümanns Pinnwand hängen auch Fotos mit Gerhard Schröder und Hape Kerkeling, gerade hat er Sky du Mont interviewt, der wohnt auch in der Umgebung. Rita Süssmuth begrüßte das Publikum, bei ihm an der Elbe, mal mit den Worten "hier an der Alster", legendär. Am besten kam diesmal der launige Vortrag von SPD-Bürgermeister Tschentscher an.

Klaus Schümann, 71, erzählt von einem Bekannten, pensionierter Justitiar, "strammer und konservativer CDU-Mann", dem habe Tschentscher so gut gefallen, dass er zum ersten Mal in seinem Leben die SPD wählte, weil er die Grünen ausbremsen wollte und seine Stimme bei der CDU ohnehin für verloren betrachtete. "Ich denke, damit steht er nicht alleine da", sagt Schümann.

Er kennt sein Blankenese, im Lions Club ist er auch.

Früher wohnten unten in Blankenese die Fischer und oben die Bauern, die hätten sich auf dem Süllberg geprügelt, berichtet Schümann. Heute: Paris, London, Mailand, Blankenese - eine Linie, er lacht, ein Gag. Kleidung? Alle Farben seien in Blankenese erlaubt, "Hauptsache blau". Ein gelbes Auto? Was für Karneval in Düsseldorf, nicht für Blankenese. Ein Ferrari? Eher Kiezmilieu als Understatement. Und nun: Rot? Genossinnen und Genossen?

Die Bindung der Blankeneser sei immer geblieben, "man zieht hier ja nicht weg", sagt Schümann. Oder man zieht zurück, wenn man erbt oder gut verdient. Blankeneses Kaufkraft vergleicht Klaus Schümann mit dem Tegernsee oder mit Grünwald. Politisch ist der Unterschied der, dass die SPD im CSU-Reich teilweise nicht mal zehn Prozent schafft. Blankenese, eine rote Hochburg? "Eine liberal-konservativ-sozialdemokratische Hochburg", präzisiert Schümann, grün komme auch noch dazu. "Es muss laufen", sagt er. Wirtschaft, Hafen, Sicherheit, Elbvertiefung, so sähen das viele Blankeneser. "Hier ruht die SPD in sich"; Hamburgs SPD. Das könne sich mit einem charismatischen CDU-ler natürlich ändern. Die Beliebtheit von Merz im Umkreis taxiert er auf 40 Prozent.

Philine Sturzenbecher geht vorbei an Reetdachvillen, im Schaufenster eines Immobilienbüros ist ein Haus für 5,8 Millionen Euro im Angebot. Gleich hat sie in Hamburgs Zentrum ihre erste SPD-Fraktionssitzung, ehe die rot-grüne Sondierung beginnt. Sie sucht noch ein Abgeordnetenbüro in ihrem Wahlkreis 4, Blankenese. Eine Arztpraxis könnte sie mieten, die ist nur ein bisschen teuer.

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SZ vom 29.02.2020
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