Süddeutsche Zeitung

Guttenberg: Treffen mit Steingart:Der Minister und der Orang-Utan

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Gestern in den USA, um Opel zu retten - heute in Berlin, um die Parteiendemokratie vor einem Spiegel-Mann zu retten. Wirtschaftsminister Guttenberg setzt sich ein.

T. Denkler

Über den Dächern von Berlin, im Vortragssaal der zur Deutschen Bank gehörenden Alfred-Herrhausen-Gesellschaft, haben sich an diesem Mittwochmittag als Gäste gescheitelte Herren mit Einstecktuch und Damen im Kostüm eingefunden. Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ist als Laudator und Diskutant angesagt.

Anlass: Der Washingtoner Spiegel-Korrespondent Garbor Steingart hat, nach zwei Bestsellern, ein neues Buch geschrieben, "Die Machtfrage. Ansichten eines Nichtwählers". Guttenberg wiederum hat es gelesen - größtenteils auf dem Rückflug aus den USA, wo er drei Tage lang an der Rettung von Opel arbeitete.

Kaum zurück, muss er antreten, die bundesrepublikanische Parteien-Demokratie vor Steingart retten. Guttenberg, so scheint es, wird überall gebraucht.

Übermüdet am Pult

Geschlafen hat der Minister offenbar nicht. Die Haut ist gerötet und das Haar zwar wie immer zurückgegelt - aber es fehlen die sonst so exakten Furchen, die ein Kamm zu ziehen pflegt. Der Mann ist übermüdet, so sehr, dass er sogar vergisst, am Pult stehend seinen Jackettknopf zu schließen.

Aber vielleicht liegt das auch an Steingarts ungeheuerlicher Botschaft: "Ich bin Nichtwähler", schreibt er und sagt das auch. Wer wählen gehe, stimme allem zu, so der Spiegel-Mann: dem System, den Umständen, den Sachzwängen, einfach allem, was die parlamentarische Parteien-Demokratie im Kern ausmacht. Nichtwählen dagegen sei ein Statement gegen die herrschenden Zustände - sozusagen die stille Revolution derer, die "keine Bekennerbriefe schreiben und keine Extremisten wählen".

Das Buch sei für einige eine Zumutung, gesteht Steingart ein. Guttenberg bestätigt, dass ihm dieses Wort gleich mehrfach eingefallen sei, als er das Werk in der Nacht über dem Atlantik gelesen habe: Zumutung, Zumutung, Zumutung.

Lieber extrem als gar nicht

Ihm wäre es lieber, die Menschen würden extrem wählen als gar nicht, sagt der CSU-Politiker frei heraus und richtet sich an Steingart neben ihm auf dem Podium: "Sie werden die Leidenschaft nicht wecken, wenn Sie zur inneren Stagnation aufrufen." Mit Wahlenthaltung sei immer auch eine "destruktive Haltung" verbunden. Die Bürger würden sich in einen Schmollwinkel zurückziehen.

Der Minister berichtet, er sei ständig hin und her gerissen worden zwischen dem "geschmetterten Unsinn", den er an vielen Stellen lesen musste, und dem Eindruck, Steingart habe recht.

Etwa wenn der Autor schlussfolgert, dass die Macht längst nicht mehr vom Volke allein ausgehe. Auch Guttenberg fordert deshalb mehr innerparteiliche Transparenz, um Entscheidungsprozesse nachvollziehbar zu machen, auch er fordert mehr Mut zum "Rauftum" in den Parteien, plädiert für offenere Strukturen. Auch der CSU-Aufsteiger beklagt das zunehmende Desinteresse der Bürger an Parteipolitik.

Fast resigniert klingt es, als Guttenberg sagt, dass "Sie die ganze bleierne Schwere dieser Gleichgültigkeit zu spüren bekommen", wenn auf einer Veranstaltung in einer Gastwirtschaft vielleicht noch drei Menschen sitzen, die nicht zu den eigenen Leuten gehören. Nur: Nichtwählen sei eben auch keine Lösung.

Spiegel-Schreiber Steingart hält dagegen, dass die Politik die Nichtwähler bisher ja gar nicht beachtet habe - und ihnen somit schwerlich unterstellen könne, destruktiv zu sein. Erhalte ein Orang-Utan eine Belohnung, wenn er auf einen Knopf drückt, dann drücke dieser immer wieder und gerne auf den Knopf, reflektiert Steingart eigene Beobachtungen aus dem New Yorker Zoo. Der Bürger sei "nicht dümmer als ein Orang-Utan": Wenn er die versprochene Belohnung für seine Stimme nicht bekomme, dann könne ihm keiner verdenken, es mit dem Wählen einfach zu lassen.

Darum regiere Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit mit einem Stimmenanteil von gerade mal 18 Prozent, gemessen an allen Wahlberechtigten. Und die Große Koalition in Berlin könne sich nicht mal mehr auf die Mehrheit aller Wahlberechtigten berufen.

Das sei ein Hilferuf der Nichtwähler. Darum müsse der Parteienfilz weg, dürften Abgeordnete und der Bundespräsident nur noch direkt gewählt werden, so Steingart, und Spitzenkandidaten nicht mehr in Kungelrunden entstehen. Leuchtendes Beispiel: Natürlich die Wahlkampagne von Barack Obama.

Und dann? Gehen dann wieder mehr Menschen gerne zur Wahl?

Zum Glück sitzt auch der ehemalige US-Botschafter in Berlin, Jeff Kornblum, im Publikum. Er weist darauf hin, dass auch mit Obama die Wahlbeteiligung in seiner Heimat kaum mehr als 66 Prozent betragen habe. In Deutschland lag die Wahlbeteiligung 2005 bei 77,7 Prozent - ohne einen Obama.

Zum Schluss sagt Guttenberg noch, das Buch habe ihm nicht unbedingt gefallen, aber inspiriert. Die Debatte müsse geführt werden.

Im Aufzug fällt dem fränkischen Politiker siedenheiß ein, dass er sein Exemplar des Buches mit seinen höchst ministeriellen Anmerkungen im Saal hat liegen lassen. Eine Mitarbeiterin springt noch flugs aus dem Fahrstuhl, es zu holen. Das müsse ja nicht unbedingt jeder lesen, befindet Guttenberg und lächelt. Er muss jetzt zur Kanzlerin, Bericht erstatten in Sachen Opel. Danach kann er vielleicht endlich ein wenig schlafen. Es wäre ihm zu wünschen.

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