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Guido Reil:Warum ein Essener Politiker nach 26 Jahren aus der SPD austritt

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26 Jahre lang war Guido Reil Mitglied der SPD, doch nun ist er aus der Partei ausgetreten, mit sofortiger Wirkung. Das teilt der Essener in einem Facebook-Eintrag mit. Die Partei sei für ihn "Familie und Teil meiner Identität" gewesen, schreibt er dort. Doch nun könne er mit dem "grundsätzlichen Kurs der SPD nicht mehr leben".

Dem Eintrag zufolge geht es vor allem um den Umgang mit der Flüchtlingsfrage. "In der Flüchtlingspolitik haben wir uns endgültig und völlig von der Realität verabschiedet", beklagt Reil. Hier werde ein offensichtlich falscher Kurs beibehalten, obwohl man wisse, dass er falsch sei. "Das ist Irrsinn."

Was genau Reil gerne ändern würde, nennt er in dem Schreiben nicht. Für ein Statement war er bislang telefonisch nicht zu erreichen. Im Januar hatte Reil für Aufsehen gesorgt, als er Integrationsprobleme von Flüchtlingen im Norden Essens anprangerte, wie die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) berichtete. Viele Kollegen in der Politik und an der Basis sähen das wie er, trauten sich aber nicht, offen etwas zu sagen.

Den Vorwurf, fremdenfeindlich zu argumentieren, wies Reil von sich. Er sei mit einer Russin verheiratet und arbeite mit vielen Menschen aus anderen Ländern zusammen, sagte er dem Spiegel. "Ich lasse mich nicht in die rechte Ecke stellen."

Reil fehlt die soziale Gerechtigkeit im Handeln der SPD

Reil monierte auch, dass der ärmere Norden Essens, für dessen Stadtteil Karnap er auch im Stadtrat sitzt, auf lange Sicht vermutlich deutlich mehr Flüchtlinge aufnehmen müsse als der wohlhabende Süden. Im Februar fand der Essener Stadtrat dazu einen Kompromiss (hier mehr beim WDR) - der auch für Reil akzeptabel war. Den Standort-Kompromiss habe er "aus voller Überzeugung mitgetragen", schreibt Reil nun in seinem Facebook-Eintrag.

Außer dem zu wenig offensiven Umgang mit Problemen in der Flüchtlingsfrage sieht der nun parteilose Ratsherr aber noch ein anderes großes Defizit in der SPD. Er wirft der Partei vor, ihre ursprüngliche Klientel, die Arbeiter, aus den Augen verloren zu haben. Die SPD sei früher die "Partei der sozialen Gerechtigkeit" gewesen, doch "im realen Handeln merke ich davon leider nichts mehr", schreibt Reil. Interessen von Arbeitern würden in der Arbeiterpartei nicht mehr vertreten.

Reil möchte nun als parteiloser Ratsherr "weiter intensiv an meinen sozialen Projekten arbeiten". Aus dem Stadtrat kommen allerdings Forderungen, er solle sein Amt niederlegen. "Das gehört sich so, denn ohne die SPD hätte er es nicht", sagte dazu SPD-Ratsfraktionschef Rainer Marschan der WAZ.

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