Süddeutsche Zeitung

Großbritannien:Post vom Premier

Lesezeit: 3 min

Boris Johnson drängt Oppositionschef Jeremy Corbyn, eine klare Position zum Brexit zu beziehen.

Von Alexander Mühlauer, London

Bereits am Abend vor dem TV-Duell hatte Boris Johnson einen Brief an Jeremy Corbyn verfasst. Er freue sich schon auf die erste Fernsehdebatte vor der Wahl am 12. Dezember, schrieb der Premierminister an den "lieben Jeremy". So freundlich ging es dann aber nicht weiter. Im bisherigen Wahlkampf sei der Labour-Chef den großen Fragen, vor denen das Land stehe, ausgewichen, befand Johnson. Und deshalb wäre er dankbar, wenn Corbyn bei der TV-Debatte erklären würde, ob er bei dem von ihm forcierten zweiten Referendum für leave oder remain sei. Doch auch am Dienstagabend bekam Johnson keine Antwort. Beim TV-Duell griff er Corbyn immer wieder scharf an. "Werden Sie für den Verbleib oder den Austritt werben?", fragte der Premier. Doch der Labour-Chef drückte sich um eine Antwort. Corbyn ist in dieser Frage so gespalten wie die Wähler und Mitglieder seiner Partei: Unter ihnen gibt es strikte Brexit-Gegner, aber auch glühende Verfechter eines EU-Austritts. Deshalb will Corbyn, dass eine labourgeführte Regierung nach der Wahl einen neuen Austrittsvertrag mit Brüssel verhandelt - und zwar innerhalb von drei Monaten. Dann soll das Volk darüber abstimmen, ob es diesen der EU-Mitgliedschaft vorzieht - oder eben nicht. "Wir geben den Bürgern das letzte Wort", versprach der Labour-Chef. Anders als Corbyn hat Johnson in Sachen Brexit eine klare Haltung. Was dem Premier in anderen Politikfeldern fehlt, zeigt er bei der Frage des EU-Austritts: Entschlossenheit. Weil es für seinen Austrittsvertrag keine Mehrheit im Unterhaus gibt, hatte Johnson auf Neuwahlen gedrungen und hofft, diese zu gewinnen. "Wir haben einen fertigen Deal", sagte Johnson am Dienstagabend nicht nur einmal. Und auch sein Wahlkampfmotto "Get Brexit done" wiederholte er so oft, dass es gegen Ende des Duells sogar Gelächter aus dem Publikum gab. Johnson erklärte jedenfalls, dass er bis Ende 2020 ein fertiges Freihandelsabkommen mit der EU erreichen wolle. Corbyn bezeichnete das als "Nonsense"; die Verhandlungen zwischen Kanada und der Europäischen Union hätten schließlich sieben Jahre gedauert. Und genauso lange würden auch Johnsons Gespräche mit den USA dauern, bis es einen Handelsvertrag zwischen London und Washington gebe, erklärte der Labour-Chef. Corbyn warf Johnson vor, er würde den National Health Service (NHS) an die USA verkaufen. Es ist eine Gefahr, die Labour schon länger heraufziehen sieht: dass US-Arzneimittelhersteller den britischen Markt mit Billigmedikamenten überschwemmen könnten. Johnson wies die Vorwürfe entschieden zurück: "Wir werden unseren NHS nicht verkaufen." Die Tories würden mehr Geld in das Gesundheitssystem investieren. Das will auch Labour. Doch sehr viel mehr Tiefgang hatte die Debatte nicht. Bei vielen Themen blieben die beiden Kontrahenten an der Oberfläche. Dafür konnten sie nur bedingt etwas; denn lediglich eine Stunde inklusive Werbung war einfach zu wenig, um herauszufinden, was sie etwa in Sachen Klimawandel tun wollen. Corbyn versprach eine "grüne industrielle Revolution"; da hatte auch Boris Johnson nichts dagegen, denn schließlich sei Klima das Thema, das die ganze Welt umtreibe. Ansonsten gab es den gewohnten Schlagabtausch, den man schon aus dem Unterhaus und den Wahlkampfreden kennt. Johnson wollte nicht damit aufhören, seinen Deal mit der EU zu preisen. Corbyn wiederum versuchte, andere Themen als den Brexit zu setzen: den Kampf gegen die Armut und die ungerechte Verteilung von Vermögen im Land.

Umfragen zufolge liegen Johnsons Tories in der Wählergunst mit etwa zehn Prozentpunkten vor Labour. Allerdings sagt dies nur etwas über die Stärke der Parteien aus, nicht aber zwangsläufig über die Mehrheit im Unterhaus. Denn die Mandate werden nicht entsprechend der Prozentzahl für die Parteien verteilt, sondern nach dem Mehrheitsprinzip. Wer in einem Wahlkreis die meisten Stimmen holt, bekommt den Sitz im Parlament. In Bezirken, in denen es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Labour und Konservativen gibt, lautet eine Kernfrage also, für wen sich linksliberale Remain-Wähler entscheiden. Sollten sich deren Stimmen zwischen Labour und Liberaldemokraten aufteilen, könnte der Tory-Kandidat der lachende Dritte sein.

Erreichen die Tories keine Mehrheit im Unterhaus, könnte es jedoch zu einem sogenannten hung parliament kommen. Dann hätte Corbyn womöglich die Chance eine Labour-Minderheitsregierung anzuführen. Eine Koalition mit den Liberaldemokraten und der schottischen Nationalpartei SNP lehnte er zwar bislang ab; das bedeutet aber nicht, dass er auf deren Unterstützung verzichten will. Beim TV-Duell schloss er das zumindest nicht aus. Doch rund um die Debatte war vor allem der Unmut bei den kleineren Parteien groß. Die SNP und die Liberaldemokraten versuchten vor Gericht durchzusetzen, dass auch ihre Parteichefs an der Fernsehdebatte teilnehmen dürfen. Der Londoner High Court lehnte die Klage ab; das Format der sei eine freie Entscheidung des Fernsehsenders.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4688234
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 20.11.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.