Süddeutsche Zeitung

Griechenland:Seegrenzen ausloten

Lesezeit: 2 min

Griechenland prüft, wie weit es gehen kann, und will sein Hoheitsgebiet im Ionischen Meer auf das Doppelte ausdehnen. Das ist zwar grundsätzlich erlaubt, verletzt aber frühere Vereinbarungen und kann die Türkei weiter verärgern.

Von Tomas Avenarius, Istanbul

Griechenland will seine Seegrenzen ausweiten. Das Parlament beriet am Dienstag darüber, dass die Territorialgewässer im Ionischen Meer auf zwölf Seemeilen ausgedehnt werden sollen. Bisher sind es nur sechs Seemeilen und das, obwohl international bis zu zwölf Meilen üblich sind: Grundlage der bisher geltenden Verkleinerung ist eine alte Vereinbarung mit der Türkei. An diesem Mittwoch will das Parlament nun abstimmen, die Zustimmung gilt als sicher. Mit der Entscheidung nehme Athen nur seine international garantierten Rechte wahr, zitierte die griechische Internet-Zeitung Macropolis das Athener Außenministerium. Dies könnte den mächtigen Nachbarstaat Türkei verärgern.

Die Entscheidung könnte zu Problemen mit den anderen Anrainerstaaten des Ionischen Meeres führen, etwa mit Albanien. Die Türkei, die kein Anrainer des Ionischen Meeres ist, könnte ihre Interessen aber ebenfalls bedroht sehen. Ankara streitet seit Jahrzehnten mit Athen über die Seegrenzen der griechischen Inseln in der Ägäis und könnte einen Präzedenzfall fürchten. Die Nachbarn liegen ohnehin im Konflikt um die Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer - auch dabei geht es um Seegrenzen.

Das Verhältnis der Nachbarländer ist wegen des Streits um vermutete Erdgasvorkommen extrem gespannt. Im Herbst 2020, als Kriegsschiffe auffuhren, drohte die Lage zu eskalieren. Sie entspannte sich erst nach Vermittlung durch Berlin. Ende Januar sollen nun als Zeichen der Entspannung die seit 2016 ausgesetzten türkisch-griechischen Annäherungsgespräche wieder aufgenommen werden: Auch hier geht es um die Seegrenze und den Luftraum rund um die griechischen Inseln in der Ägäis und um andere Seerechts- und Territorialfragen.

Jede Veränderung der Ägäis-Grenzen wäre ein Kriegsgrund

Ankara sieht den Zugang zu den internationalen Schifffahrtsrouten und zum Luftraum des östlichen Mittelmeeres bedroht, wenn Athen auf einer Einhaltung der international üblichen Ausdehnung der Hoheitsgewässer bestünde. Deshalb hatten sich die Nachbarn vor Jahrzehnten geeinigt, die Hoheitsgewässer rund um die Ägäis-Inseln für beide Seiten mit sechs Meilen auf die Hälfte der internationalen Größe zu verkleinern. Das türkische Parlament hatte 1995 klargestellt, dass jede Veränderung der Ägäis-Grenzen ein Kriegsgrund wäre.

Von der Ausdehnung der Seegrenze im Ionischen Meer wäre zuerst Albanien betroffen: Die beiden Staaten wollen ihren Streit aber vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag klären. Türken und Griechen könnten ihre Konflikte ebenfalls vor ein internationales Gericht bringen, sie können sich darauf aber nicht verständigen.

Umso wichtiger wird sein, wie Ankara nun auf die für die Türkei eher unwichtige Grenzveränderung im Ionischen Meer reagiert. Cihat Yaycı, ein ehemaliger Admiral, dessen Stimme im Land schwer wiegt, hat Athen Ende 2020 vorgeworfen, die Seegrenzen im gesamten östlichen Mittelmeer mit einem "mehrstufigen Plan" verändern zu wollen. Das Ionische Meer sei der erste Schritt, später folge die Ägäis.

Der Admiral ist der Vater der Idee vom "Blauen Vaterland"; laut dieser geopolitischen Idee steht der Türkei die Vorherrschaft im östlichen Mittelmeer zu. Regierung und Militär in Ankara haben sich diese Theorie nicht offiziell, wohl aber inoffiziell und in Teilen zu eigen gemacht.

Ex-Admiral Yaycı hatte im Dezember 2020 der Zeitung Sözcu gesagt: "Wenn Griechenland das nur im Ionischen Meer tut, wäre nichts zu befürchten. Aber dieser Schritt ist Teil eines größeren Plans." Er behauptete, der damalige griechische Außenminister Nikos Kotzias habe 2017 gesagt: "Wir fangen mit der Erweiterung unserer Hoheitsgebiete im Ionischem Meer an." Als zweiter Schritt würden Ägäis-Gewässer westlich von Kreta folgen. Das aber wäre für die Türkei völlig inakzeptabel.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5179402
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.