Süddeutsche Zeitung

Griechenland:Die juristische Aufarbeitung der türkischen Putschnacht beginnt - in Athen

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Von Mike Szymanski, Athen

Es war 11.50 Uhr am 16. Juli, als der Putschversuch in der Türkei auch zu einem Problem für Griechenland wurde. Um diese Uhrzeit landete im nordgriechischen Alexandroupoli ein Militärhubschrauber, acht Minuten zuvor hatte der Pilot ein Notruf-Signal abgesetzt. An Bord: Acht Männer. Soldaten, so viel war sicher. Waren es nun aber womöglich Putschisten? Terroristen gar, wie die Türkei heute behauptet, die in Griechenland Zuflucht suchten?

Wie Schwerverbrecher werden die beiden Männer jedoch nicht behandelt, die am Donnerstag im engen Gerichtssaal in Athen Platz nehmen. Unteroffizier Mesut F., 37, und Hauptmann Uğur U., 35, tragen keine Handschellen. Zum Rauchen stehen sie mit den Anwälten und Prozessbeobachtern im Treppenhaus. Schwerbewaffnete Sicherheitsleute: nirgends zu sehen.

Die Vorwürfe, die von der türkischen Justiz gegen diese beiden Männer und die sechs übrigen Soldaten erhoben werden, sind jedoch immens: Sie sollen als Teil der Putschbewegung versucht haben, die Regierung zu stürzen. Außerdem sollen sie an einem Mordkomplott gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan beteiligt gewesen sein, der in der Nacht des versuchten Umsturzes im Küstenort Marmaris Urlaub machte. Der Vorwurf, den Hubschrauber entwendet zu haben, wirkt angesichts dessen wie eine Petitesse.

Die angeblichen Putschisten dienten in einer Rettungseinheit

An diesem Donnerstag geht es nicht um die Frage, was an den Vorwürfen dran ist. Es geht allein um die Frage, ob die Soldaten zunächst in Athen bleiben können, das Auslieferungsgericht hat darüber zu entscheiden. "Wir vertrauen der griechischen Justiz", sagt Mesut F., Bordtechniker des Hubschraubers. Ankara verlangt jedoch die Auslieferung aller acht Soldaten, der Fall ist zur Belastungsprobe fürs türkisch-griechische Verhältnis geworden.

Wie schwer sich die griechische Justiz damit tut, zeigte diese Woche: Die übrigen sechs Soldaten hatten bereits in zwei anderen Verfahren jeweils zu dritt vor Gericht gestanden. Im ersten Prozess urteilte das Gericht, die Soldaten würden nicht ausgeliefert. "Skandalurteil", heißt es danach in der Türkei. Im zweiten Verfahren urteilte das Gericht, die Soldaten könnten ausgeliefert werden. Da war dann in Athen die Empörung groß: Lasse man sich vom türkischen Staatspräsidenten "erpressen", wie Christos Mylonopoulos befürchtet, Anwalt der verbleibenden zwei Soldaten? Und die Neugier: Was machen jetzt die Richter des dritten Prozesses? Erst einmal zuhören.

Es ist das erste Mal, dass Soldaten aus der Putschnacht vor Gericht berichten. In der Türkei steckt die juristische Aufarbeitung derzeit in den Anfängen, die Prozesse haben noch nicht begonnen. In Athen sagen Mesut F. und Uğur U. aus. Sie geben an, zu einer Rettungseinheit zu gehören, ihre Basis liegt etwas außerhalb von Istanbul. Dann kam in der Nacht zum 16. Juli der Einsatzbefehl: Es galt, Verletzte aus dem Zentrum der Stadt auszufliegen.

Die Männer seien davon ausgegangen, dass es einen Terroranschlag gegeben habe, leider nichts Ungewöhnliches in der Türkei. Drei Hubschrauber machten sich auf den Weg in die Stadt, wo kriegsähnliche Zustände herrschten: Panzer waren auf den Straßen, ihre Vorgesetzen hätten sie nicht erreichen können. Der Helikopter sei beschossen worden, also versuchten sie, eine andere Flugbasis anzufliegen.

Beide Männer geben an, dass sie nichts von einem Militärputsch gewusst hätten. Das änderte sich erst, als der Stützpunkt in den Morgenstunden von der Polizei gestürmt wurde. Im Internet hätten sie Videos gesehen, wie Soldaten in Istanbul hingerichtet worden seien. "Wie hätten wir erklären sollen, dass wir mit dem Putsch nichts zu tun hatten?", fragt einer der Soldaten. Also stahlen sie den Hubschrauber und setzten sich nach Griechenland ab.

Erdoğan töten zu wollen? Absurd

Beide Männer haben Familien zurückgelassen, sie kamen mit nichts als mit den Klamotten am Leib - und Angst. Der Vorwurf, Erdoğan töten zu wollen? Absurd, sagen die Anwälte. Marmaris anzufliegen hätte vier Stunden gedauert, der Hubschrauber hätte aufgetankt werden müssen. "Wir alle sind unschuldig", sagt Uğur U., der Pilot.

Staatsanwalt Giorgos Voulgaris sagt, wenn sich die Männer Verbrechen schuldig gemacht hätten, müssten sie dafür zur Verantwortung gezogen werden - die Frage sei aber auch, was für ein Land da die Auslieferung verlange: "Wir hören und wir wissen, dass in der Türkei Menschenrechte unterdrückt werden, es zu Folter kommt und Richter massenhaft entlassen werden." Aus seiner Sicht seien die Verdächtigen in der Türkei nicht sicher. Sie könnten dorthin nicht ausgeliefert werden. "Wir sind Juristen und keine Diplomaten", sagt er. Auf die politischen Spannungen hätten sie keine Rücksicht zu nehmen. Die Verteidigung sagt, sie könne nur zustimmen.

Nach kurzer Beratung ergeht das Urteil. Das Gericht lehnt die Auslieferung ab. Im Sport hieße es: 2:1 für die Soldaten. Aber Justiz ist kein Spiel. Die Verfahren gehen in die nächste Instanz.

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SZ vom 09.12.2016
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