Süddeutsche Zeitung

Griechenland:An der Grenze

Lesezeit: 3 min

Die Flüchtlinge erschöpft, der Staat überfordert, Europa zerstritten - spät will Athen jetzt auf die Schnelle Platz für Zehntausende Migranten schaffen.

Von Thomas Kirchner und Mike Szymanski, Istanbul/Brüssel

Im Schlamm von Idomeni versinkt langsam auch das letzte bisschen Hoffnung. Der Regen hat den Boden aufgeweicht. Wie Inseln ragen Zelte aus dem Schlamm heraus. Wirklich Schutz bieten sie kaum noch. 70 Kinder sind gerade erst in umliegende Krankenhäuser nach Kilkis und Thessaloniki gebracht worden. Die beschwerliche Reise, das Wetter, das tagelange Ausharren an der Grenze - all das hat sie krank gemacht. Griechenland ist Endstation - und das lässt dieser Ort hier jeden früher oder später spüren.

Jean Nicolas Dangelser, ein freiwilliger Helfer, erzählt: "Die Warteschlangen sind so lang. Auf alles muss man warten. Essen, Trinken, Kleidung, Decken." Hunderte würden anstehen. Für Stunden. Für das Nötigste. An der Grenze zu Mazedonien geht es überhaupt nicht weiter. Die Beamten lassen niemanden mehr durch. Wahrhaben wollen viele der mittlerweile schon 14 000 Flüchtlinge, die an einem Zaun an der Grenze zu Mazedonien feststecken, dies nicht. Gemma Gillie, die Helferin der Organisation Ärzte ohne Grenzen, sagt: "Manche haben Hoffnung, andere sind verwirrt. Die meisten sind einfach müde. Erschöpft."

In den vergangenen zwei bis drei Tagen hätten die Serben keinen Flüchtling durchgelassen, deshalb weigert sich auch Mazedonien, die Grenze zu öffnen. Im mazedonischen Tabanovce hängen auch Hunderte im Schlamm fest und kommen nicht nach Serbien. Ein neues Idomeni? Überall wird aufgerechnet.

Hilfsorganisationen sind entsetzt über die Zahlenspiele bei den Verhandlungen

Die Türken wollen für jeden syrischen Flüchtling, den sie aus Griechenland zurücknehmen, einen direkt nach Europa schicken. Darüber wird gerade verhandelt. Die griechische Sektion der Ärzte ohne Grenzen ist entsetzt über diese Flüchtlings-Zahlenspiele. "In Idomeni, wo unsere Teams anstelle Europas Verantwortung übernehmen, sehen wir die Folgen dieser unrealistischen und unmenschlichen Berechnungen."

In Griechenland sollen nun etwa 42 000 Flüchtlinge feststecken, 10 000 davon auf den Inseln. Kurzzeitig schien es, als kämen weniger Migranten nach Griechenland. Aber Schifffahrtsminister Thodoris Dritsas sagte am Donnerstag, am Tag zuvor hätten wieder 2400 Flüchtlinge die Inseln erreicht. Die Schleuser lügten die Migranten an und sagten, die Grenze sei offen.

Dritsas hat die Reisebüros auf den Ferieninseln aufgefordert, keine Fahrkarten mehr bis nach Idomeni auszustellen. Das Geschäft der Schleuser blüht. Am Mittwoch nahm die Polizei in Piräus wieder einen Busfahrer fest, der 45 Syrer vom Hafen an die Grenze bringen wollte.

Athen scheut sich, das Lager in Idomeni, in dem 80 Prozent der Menschen vor dem syrischen Bürgerkrieg geflüchtet sind, zu räumen. Jedenfalls will sie keine Polizei einsetzen. Dritsas, der auch dem Krisenstab zur Flüchtlingskrise angehört, meint, die Flüchtlinge müssten "überzeugt werden", von sich aus das Camp zu verlassen. "Was wir machen können, ist, ihren Transport zu Aufnahmelagern zu organisieren, die in ganz Griechenland verstreut sind."

Überzeugt werden, heißt: Flyer verteilen, warten, bis die Umstände die Flüchtlinge mürbe gemacht haben. Von Tag zu Tag verschlechtert sich die Lage. Tatsächlich sind ein paar Familien in Busse gestiegen, um ins Landesinnere zurückzukehren. Allerdings kommen immer noch Hoffnungsvolle an. Vom Staat - so beklagt es die griechische Presse immer deutlicher - ist in Idomeni kaum etwas zu sehen. Ohne die Hilfe der Nichtregierungsorganisationen wäre längst alles zusammengebrochen.

Die Regierung versucht nachzuholen, was sie versäumt hat. Ende 2015 hatte Athen versprochen, 50 000 Plätze zur Registrierung und Unterbringung von Flüchtlingen zu schaffen. So viele sind noch gar nicht im Land, trotzdem kollabiert das System. Auf die Schnelle sollen jetzt 15 neue Camps entstehen für knapp 18 000 Flüchtlinge. Darunter auch ein neuer Hotspot mit Platz für 4000 Menschen in Malakasa, etwa 40 Kilometer von Athen entfernt.

Und wo bleibt die Hilfe? Bisher sind laut EU 660 Millionen Euro nach Athen geflossen. Zum einen in Form von Zelten, Schlafsäcken, Medizin, Essen, Trinken, Dingen des täglichen Bedarfs. Aber Agenturen der EU, Experten aus den Mitgliedstaaten und internationale Organisationen helfen Griechenland auch anderweitig, etwa beim Errichten und Betreiben der Empfangs- und Registrierungszentren; bei der Grenzsicherung; sie bemühen sich, die Verteilung von Flüchtlingen aus Griechenland in die EU-Staaten zu organisieren (was bisher mit nur knapp 1000 Flüchtlingen funktioniert hat) oder sie abzuschieben; und sie schaffen zusätzliche Aufnahmeplätze für die Flüchtlinge. Vieles davon komme aber zu spät, oder es reiche nicht, klagt man in Athen. Ein geplantes neues Nothilfe-Programm der EU stellt nun 700 Millionen Euro in Aussicht, von denen Griechenland das meiste erhalten soll.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2901595
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 11.03.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.