Süddeutsche Zeitung

Gewalt jüdischer Siedler:"Gefahr für Demokratie und Sicherheit"

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Sie schmieren Hassparolen auf Häuser, legen Brandsätze und schrecken auch vor Gewalt gegen die eigene Armee nicht zurück: Radikale jüdische Siedler aus dem Westjordanland sehen die Friedensbemühungen in Nahost als Bedrohung und fordern deshalb die Regierung in Jerusalem heraus. Die vergleicht die Angriffe offen mit Terrorismus.

Peter Münch, Tel Aviv

Die zunehmende Gewalt radikaler Siedler schreckt die Regierung in Jerusalem auf. Nach Brandstiftungen in Moscheen und Angriffen auf israelische Soldaten scheint eine rote Linie überschritten zu sein, die den Staat zum Handeln zwingt. Premierminister Benjamin Netanjahu spricht von einer "Gefahr für die Demokratie und für die Sicherheit". Er habe den Streitkräften die Vollmacht erteilt, Verdächtige zu verhaften, Extremisten den Zugang zu bestimmten Orten zu verwehren und Gewalttäter vor Militärgerichte zu bringen, sagte er am Mittwoch.

Verteidigungsminister Ehud Barak sagte, es gebe keinen Zweifel, dass diese Taten mit Terror zu vergleichen seien. Geprüft wird nun, ob die sogenannte Hügeljugend, die berüchtigt ist für ihre Gewaltbereitschaft, zur Terrororganisation erklärt und entsprechend bekämpft werden kann. Die Radikalen beantworten indes die politischen Diskussionen mit neuen Gewalttaten.

Am Mittwochmorgen musste die Jerusalemer Polizei zum Löschen einer historischen Moschee im Stadtzentrum ausrücken. Brandstifter hatten sich in der aus dem 12. Jahrhundert stammenden Nebi-Akasha-Moschee ans Werk gemacht, die in einem von ultra-orthodoxen Juden bewohnten Viertel liegt und nicht mehr als Gotteshaus genutzt wird. Im Inneren fanden die Einsatzkräfte mehrere hebräische Graffiti. "Nur ein toter Araber ist ein guter Araber", war dort zu lesen, und der Prophet Mohammed wurde als "Schwein" beschimpft.

Hinweise auf die Täter gab zudem die Aufschrift "Preisschild". So markieren radikale Siedler ihre Racheaktionen. Sie warnen damit vor dem hohen Preis, der zu zahlen sei, wenn ihre illegalen Siedlungsaußenposten geräumt werden. Als die Polizei später sechs Verdächtige festnahm, kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen.

Es war bereits der sechste Brandanschlag auf eine Moschee in diesem Jahr. Auch international löst das Besorgnis aus. Bundesaußenminister Guido Westerwelle warnte, "derartige Provokationen" würden die Bemühungen um Frieden in Nahost belasten. Den Friedensprozess sehen die 300.000 jüdischen Siedler im Westjordanland allerdings nur als Bedrohung ihrer Position, und eine radikale Minderheit fordert immer häufiger auch die israelische Staatsmacht offen heraus.

"Schade, dass sie nicht geschossen haben"

Die Übergriffe und Provokationen wirken gut koordiniert. So war in dieser Woche zunächst eine Gruppe ins Sperrgebiet an der israelisch-jordanischen Grenze eingedrungen. Bei der Räumung durch die Armee wurden 17 Personen vorübergehend festgenommen.

Später hatten mehrere hundert Siedler nahe des zum Abriss anstehenden Außenpostens Ramat Gilad zunächst Steine auf vorbeifahrende Autos von Palästinensern geworfen und dann die anrückenden Soldaten ins Visier genommen. Zwei Offiziere wurden verletzt. Mit einem Bus fuhren die Randalierer anschließend zum Eingang des Armeecamps der Ephraim- Brigade. Ungehindert drangen sie dort ein, legten Feuer, zerschlugen die Scheiben von Armeefahrzeugen und durchstachen die Reifen, bis schließlich die Polizei eintraf und die Randalierer stoppte.

Dieser Vorfall schlägt nun Wellen bis nach Jerusalem. Der zuständige Kommandeur, Generalmajor Avi Mitzrahi, erklärte: "In meinen 30 Jahren bei der israelischen Armee habe ich niemals solchen Hass von Juden gegen Soldaten gesehen". Ex-Verteidigungsminister Benjamin Ben-Elieser von der oppositionellen Arbeitspartei macht der Armee den Vorwurf, sie hätte härter auf den Angriff reagieren müssen. "Schade, dass sie nicht geschossen haben", sagt er. Wer einen Armeestützpunkt stürme, müsse mit dem Tod rechnen. Auch Siedlerführer distanzierten sich von den gewaltsamen Aktionen. Der Angriff sei "schändlich", sagte Danny Danon, der Vorsitzende des Yescha-Siedlerrats. Netanjahu beauftragte eine Kommission damit, einen Maßnahmen-Katalog vorzulegen.

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Quelle:
SZ vom 15.12.2011
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