Süddeutsche Zeitung

Gewalt im Gaza-Streifen:Einig nur im Kampf gegen den Erzfeind

Lesezeit: 2 min

Angeblich hat die Hamas das Existenzrecht Israels anerkannt - Zweifel sind angebracht. Ein von Gefängnisinsassen verfasstes Kompromisspapier wirft Fragen auf.

Tomas Avenarius

Wenigstens einer erweist sich als unverdrossener Optimist: Abdallah Frangi, Statthalter der Fatah im Gaza-Streifen. "De facto ist das eine Anerkennung Israels, auch wenn die Hamas das nicht ausgesprochen hat."

Anders klingt, was Hamas-Minister Adul Rahman Zeidan sagt: Von Anerkennung stehe "kein Wort" in dem zwischen den Palästinenserparteien Fatah und Hamas ausgehandelten Kompromisspapier über den Umgang mit Israel.

Ein Plan von Gefängnisinsassen

Am Dienstag war bekannt geworden, dass sich die rivalisierenden Palästinensergruppen auf ein Abkommen zur nationalen Einigung geeinigt hätten, das von Palästinenserpräsident Machmud Abbas zur Grundlage einer Friedensregelung erklärt wurde.

Im Kern soll der Plan nach dem, was bislang bekannt wurde, die Schaffung eines palästinensischen Staates im Gaza-Streifen und Westjordanland vorsehen. Damit würde - unausgesprochen - das Existenzrecht Israels anerkannt. Der Text wurde von Palästinensern ausgearbeitet, die in Israel im Gefängnis sitzen.

Fraglich ist jedoch, ob das Dokument das Papier wert ist, auf dem es steht. Der Öffentlichkeit liegt es noch nicht vor. Zudem überzeugt nicht, was aus dem Text bekannt geworden ist.

Bei der de-facto-Anerkennung Israels oder der Frage des Gewaltverzichts hat sich allem Anschein nach weniger bewegt, als erste euphorische Reaktionen glauben machten. Offenbar versucht die Hamas weiter, an ideologischen Grundpositionen festzuhalten, indem Formulierungen eingebaut wurden, die jederzeit eine Rückkehr zu alten Positionen erlauben würden.

Bei der Absage an Gewalt außerhalb der besetzten Gebiete etwa ist nur die Rede von der "Konzentration" gewaltsamen Widerstands auf das Westjordanland und den Gaza-Streifen. Das aber ließe die Möglichkeit von Attacken auf Israel offen.

Noch weniger klar formuliert wird eine Position zur erhofften De-facto-Anerkennung Israels. Der Hamas-Abgeordnete Salah al-Bardawil erklärte: "Wir sagen, dass wir einen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 akzeptieren. Wir sagen nicht, dass wir zwei Staaten akzeptieren."

Palästinenserpräsident Abbas will nun offenbar weiter nachbessern. Sein Vertrauter Saeb Erekat merkt an: "Das Dokument ist nicht fertig. Wir befinden uns in einer schwierigen Lage in Gaza. Das ist nicht der geeignete Zeitpunkt, um solch ein Dokument abzuschließen."

Das so genannte Kompromiss-Papier, aber auch die mutmaßliche Verantwortung eines Teils der Hamas-Führung für das Kidnapping eines israelischen Soldaten werfen jedenfalls ein schlechtes Licht auf die Hamas.

Die Islamisten-Organisation zeigt nicht die innere Geschlossenheit, die sie selbst für sich in Anspruch nimmt - und die ihr von allen Seiten attestiert wird. Die Entführung an der Grenze zu Gaza fand offenbar auch ohne jedes Wissen der Hamas-Führung um Premierminister Ismail Hanija statt.

Möglicherweise war es Ziel der Aktion, das ungeliebte Kompromisspapier zu torpedieren. Von palästinensischer und israelischer Seite wird der im syrischen Exil lebende Hamas-Führer Khaled Meschal verantwortlich gemacht. Präsident Abbas sagte, der Soldat sei "von Männern gekidnappt worden, die loyal zu Meschal stehen". Die Israelis wollen ihn töten, wenn dem Soldaten etwas zustößt.

Die Hamas besteht aus der politischen Führung in Gaza und Ramallah sowie der Auslandsgruppe unter Hamas-Politbürochef Meschal in Damaskus. Dazu kommen die "Al-Kassem-Brigaden", der bewaffnete Hamas-Arm in den besetzten Gebieten, sowie die Hamas-Häftlinge in Israels Gefängnissen.

Die Hamas-Führer geben an, all diese Gruppen entschieden nach dem - für alle Seiten bindenden - Mehrheitsprinzip. Angeblich unterstehen die Hamas-Gruppen zudem einer geheimen "Schura", einer obersten Versammlung.

Streit in der Hamas

Medienberichten zufolge wird der entführte israelische Soldat im Flüchtlingslager Khan Junis im Süden des Gaza-Streifens festgehalten: Gekidnappt haben ihn offenbar die dortige Kassem-Brigade sowie Kämpfer des "Volkswiderstandskomitees" und der "Armee Allahs". In Israel geht man davon aus, dass die bisher unbekannte "Armee Allahs" ebenfalls des Hamas nahe steht. All dies weist auf ein Zerwürfnis innerhalb der Hamas hin.

Premier Hanija gilt als Pragmatiker; die Auslandsführung in Syrien als radikal. Sie unterliegt dem Einfluss Syriens und Irans. Sollte die Hamas tatsächlich so stark gespalten sein, wird es extrem schwer werden, zu einer Beruhigung in den Palästinensergebieten zu gelangen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.875130
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 29.6.2006
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.