Süddeutsche Zeitung

Gedenkstätten:Ausflug nach Auschwitz

Lesezeit: 2 min

Ein Sammelband sucht Antworten auf das wenig erforschte Phänomen "Dark Tourism" - mit klaren und auch erstaunlichen Befunden.

Von Robert Probst

Es ist gar nicht so einfach, die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz zu besuchen, wegen des enormen Andrangs ist der Zugang für Einzelbesucher seit einiger Zeit reglementiert. Wer nicht Wochen im Voraus reservieren will, kann sich aber jederzeit einer organisierten Tour in Krakau anschließen, wo gern Auschwitz mit einem Ausflug zu den berühmten Wieliczka-Salzminen kombiniert wird - all included: Guide, Transfer, Eintritt + 2 Discount Coupons. Von derlei Tagestouren ist es dann nicht weit bis zu den Selfies, die hie und da in den Krematorien aufgenommen werden, und zur Debatte, was solche Touristen außer Sensationsgier und Voyeurismus eigentlich antreibt.

Das Forschungsfeld des sogenannten "Dark Tourism" wurde in den 1990er Jahren entdeckt und hat seit einiger Zeit auch in Deutschland Konjunktur. Ein sehr empfehlenswerter Sammelband nähert sich dem wenig erforschten Phänomen aus verschiedensten Perspektiven an. Und kommt ganz wissenschaftlich, aber gut lesbar zu dem Ergebnis: ganz so einfach ist es nicht. Es geht nicht nur um das korrekte Verhalten in Mahn- und Gedenkstätten, sondern auch darum, welche Angebote vor Ort gemacht werden. Und, dass Dark Tourism seine guten Seiten haben kann.

Was suchen die Besucher auf dem Obersalzberg?

Seit Jahrhunderten pilgern Menschen zu heiligen Gräbern, besuchen Schlachtfelder oder Massengräber großer Kriege. Aber erst seit die Menschen in Scharen zu früheren Stätten von Gewalt, Tod, Krieg und Völkermord reisen, um dort etwas zu erleben, treten die problematischen Seiten solcher "Ausflüge" immer klarer zu Tage. Die Menschen setzen auf sinnliche und subjektive Erlebnisse und reisen mit klaren Erwartungshaltungen an; bei Orten des Holocausts möchte man vor allem Wachtürme, Stacheldrahtzäune, Baracken, Gaskammern und Krematorien sehen und gewissermaßen abhaken. Wo solche "Holocaust Icons" nicht zu finden sind, wie etwa in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg ist man "enttäuscht". Vielen Menschen fehlt aber etwa die Einordnung, dass der Holocaust zum allergrößten Teil im von Nazi-Deutschland besetzten Gebieten Osteuropas vollzogen wurde und dort wiederum zum größten Teil bei Massenerschießungen oder in den Vernichtungslagern der "Aktion Reinhardt" im Osten Polens, wo heute wenig an die authentischen Mordstätten erinnert (weil die Nazis alles Spuren verwischen wollten) und wohin auch keine Besuchermassen reisen.

Der Band zeigt anschaulich, wie man Reisen nach Polen etwa mit Erinnerungsarbeit sinnvoll verbinden und auch über die völlig andere Aufarbeitung der Vergangenheit in Osteuropa aufgeklärt werden kann; was Touristen über ihren Aufenthalt in KZ-Gedenkstätten auf Trip-Advisor schreiben und was Besucher auf dem Obersalzberg genau suchen. Immer wieder bestürzend zu lesen ist aber auch, wie wenig sich etwa Italien mit der Periode des Faschismus auseinanderzusetzen bereit ist, gezeigt wird das an Mussolinis Grabmal - einem Pilgerort für alte und junge Unbelehrbare.

Wie man Erfahrungen mit einem Genozid schließlich sinnvoll nutzen kann, zeigt das Beispiel Ruanda. Dort wird staatlicherseits bewusst darauf gesetzt, Touristen zu den Stätten der Gräueltaten von 1994 zu lotsen, um zu zeigen, welche Fortschritte seither erzielt wurden. Dark Tourism kann also auch eine "politische Legitimationsfunktion" haben.

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Quelle:
SZ vom 25.01.2021
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