Frankreich:Zweipersonensystem
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Der Wettstreit zwischen Emmanuel Macron und Marine Le Pen hat die alte Konkurrenz zwischen Konsevativen und Sozialisten abgelöst.
Von Nadia Pantel, Paris
"Sie werden mich nicht dazu bringen, von einer Niederlage zu sprechen", sagte Nathalie Loiseau am Montagmorgen dem Radiosender Europe1. Und tatsächlich gibt es in Frankreich nach dieser Europawahl keinen klaren Gewinner und keinen klaren Verlierer. Marine Le Pens rechtsextreme Partei Rassemblement National (RN) holte 23,3 Prozent der Stimmen, die Liste von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, angeführt von Loiseau, folgte direkt darauf mit 22,4 Prozent. Im Europaparlament werden die französischen Konkurrenten mit jeweils gleich vielen Sitzen vertreten sein.
Macron kann mit diesem Ergebnis zufrieden sein. Die Partei der Regierenden wird in Frankreich bei den Europawahlen traditionell abgestraft, Macrons La République en Marche (LREM) hingegen hat eine stabil bleibende Unterstützerbasis. In der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen 2017 holte Macron 24 Prozent.
Doch genauso sicher wie Macron hält sich auch Le Pen. Die Europawahl bestätigt, was sich seit Monaten abzeichnet: Frankreich hat das Zweiparteiensystem, über das alle ächzten, nicht abgeschafft, sondern durch ein neues Duo ersetzt. Es kämpfen nicht länger Sozialisten gegen konservative Republikaner, sondern Macron gegen Le Pen. LREM ist zum Sammelbecken für die Kräfte der Mitte geworden, und die wichtigste Stimme der Opposition heißt Marine Le Pen.
Diese zog aus der Wahl umgehend radikale Konsequenzen. Die Nationalversammlung müsse aufgelöst werden, forderte Le Pen und spricht von einer "Krise der repräsentativen Demokratie". Tatsächlich führt das französische Mehrheitswahlrecht mit seinen zwei Wahlgängen dazu, dass Kandidaten des RN bisher zwar oft in den zweiten Wahlgang kommen, dann aber durch einen Zusammenschluss der Wähler der anderen Parteien am Einzug ins Parlament gehindert werden. Der RN ist in der Nationalversammlung nur mit sechs Abgeordneten vertreten, während LREM auf 312 Sitze kommt.
Im vergangenen Sommer plante Macron eine Verfassungsreform, die unter anderem vorsah, einen Teil der Sitze in der Nationalversammlung über ein Verhältniswahlrecht zu vergeben. Diese Maßnahme käme dem RN zugute. Die Verfassungsreform wurde allerdings aufgrund des Skandals um den korrupten Élysée-Mitarbeiter Alexandre Benalla verschoben.
Ein Triumph ist der Ausgang der Europawahl für Marine Le Pen nicht. Im Vergleich zu 2014 hat die Partei, die damals noch Front National hieß, 1,6 Prozentpunkte eingebüßt. 2014 hatte der Front National 18 Prozentpunkte zugelegt und war stärkste französische Kraft im Europaparlament geworden. Die Sozialisten, die in François Hollande den Präsidenten stellten, kamen auf nur 13,9 Prozent der Stimmen.
Der überraschende Erfolg der französischen Grünen (13,5 Prozent der Stimmen) ist für Macron eine gute Nachricht. LREM hatte sich im Europawahlkampf als ökologische, aber undogmatische Klimapartei positioniert. Die starke Unterstützung für die Grünen wird bei LREM nun auch als Zuspruch für das eigene Programm gewertet. "Wir haben die Botschaft der ökologischen Dringlichkeit gehört", sagte Premierminster Édouard Philippe am Sonntagabend. Und aus dem Élysée heißt es, "ökologische Politik bleibt eine Priorität." Sprich: Auch wir sind eine grüne Partei.
Den eigentlichen Schock dieser Wahl findet man auf dem vierten Platz der Ergebnisse. Nur 8,5 Prozent der Franzosen stimmten für die Republikaner, es ist das schlechteste Ergebnis für die Konservativen seit Gründung der Partei. Das schlechte Abschneiden der Republikaner bedeutet wiederum eine weitere Festigung der Position Le Pens. Die bürgerliche Rechte verschwindet, während die radikale Rechte inzwischen zum parteipolitischen Establishment gehört.
Unklar bleibt, inwieweit die Proteste der Gilets jaunes die Europawahl beeinflusst haben. Die Protestbewegung dominiert seit November den politischen Diskurs in Frankreich. Doch die zwei Gelbwesten-Listen, die bei der Wahl angetreten waren, kamen gemeinsam nicht einmal auf mehr als ein Prozent der Stimmen. Dies liegt auch daran, dass viele aus der Bewegung es für einen Verrat ihrer basisdemokratischen Ideale halten, sich für Wahlen aufstellen zu lassen. Laut einer Umfrage der Ifop-Meinungsforscher haben 44 Prozent der Personen, die sich als "der Bewegung nahestehend" definieren, für Le Pens RN gestimmt. Doch die Gilets jaunes und der Grand débat könnten auch einen weiteren Effekt gehabt haben: Frankreich erfuhr in den vergangenen Monaten eine starke Politisierung. Dies könnte zur gestiegenen Wahlbeteiligung (50 Prozent) beigetragen haben.