Süddeutsche Zeitung

Frankreich:In die Wohnzimmer der Republik

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Ein Jahr vor der Europawahl startet Präsident Emmanuel Macron wieder einen "Marsch" - diesmal für die EU. Ein möglicher Nebeneffekt: Es könnten neue Parteien für Bündnisse in Brüssel entstehen.

Von Nadia Pantel, Paris

In einem kleinen Café, in einer eher schäbigen Straße hinter Montmartre, erreicht die Powerpoint-Präsentation ihren Höhepunkt. An die Wand wird der Satz geworfen: "Man kann es nie oft genug sagen: Lächeln Sie!" Die gut 40 Anwesenden nicken. Sie werden geschult im politischen Außendienst. In den kommenden fünf Wochen sollen sie und viele weitere lächelnde Menschen an 100 000 Türen klingeln und die Bürger fragen, ob sie Zeit haben, ein wenig über Europa zu sprechen. Am Samstag startete La République en marche (LRM) ihren "Großen Marsch für Europa".

Als Parteichef Christophe Castaner den "Großen Marsch" vor knapp drei Wochen vor Journalisten in Paris vorstellte, sagte er, LRM sei "die Bewegung des Zuhörens", sie wolle "den Franzosen den europäischen Traum zurückgeben". Was vage klingt, ist die Vorbereitung der Europawahl 2019. Präsident Emmanuel Macron und seine Partei wollen zeigen, dass sie mehr sind als Überraschungssieger. Sie wollen beweisen, dass der Erfolg bei der Präsidentschaftswahl nicht nur auf Widerstandsstimmen gegen die rechtsradikale Marine Le Pen gründete. Durch den Sieg von LRM bei den Parlamentswahlen im Sommer gelang der Partei die erste Konsolidierung, nun will sie auch im Europaparlament stärkste politische Kraft werden.

Doch mit politischer Strategie sollen die Franzosen nicht behelligt werden. Und auch nicht mit den Worten EU oder Brüssel. Es geht "um Europa". In dem kleinen Pariser Café werden die Marschierer, wie die Partei sie nennt, daran erinnert, dass sie keinen Wahlkampf machen: "Ihr seid nicht hier, um zu überzeugen, sondern um zuzuhören". Die lächelnden Zuhörer werden mit europablauen Pullovern ausgerüstet und mit einem Fragebogen. Haben sie es in die Wohnzimmer der Republik geschafft, sollen folgende Fragen diskutiert werden: "Wenn Sie Europa hören, woran denken Sie dann? Was funktioniert ihrer Meinung nach in Europa nicht? Glauben Sie, dass Europa einen konkreten Einfluss auf ihren Alltag hat?" Alle Antworten werden notiert und sollen in das Wahlprogramm für 2019 miteinfließen.

Es könnten neue Parteien für Bündnisse in Brüssel entstehen

Wenn es nach Macron geht, ist die Befragung der Franzosen nur der erste Schritt seiner Europapolitik. Am 17. April will er im Europarat in Straßburg den Start der europäischen Bürgerbefragungen verkünden. Das ist insofern eine Fortsetzung des "Großen Marsches", als dass die Zivilgesellschaft angeleitet und ermuntert werden soll, über europäische Fragen zu diskutieren. Doch anders als in Frankreich, soll seine Partei nicht mit den Befragungen in Verbindung gebracht werden. Macron schwebt vor, dass von Dänemark bis Rumänien Schwimmvereine, freiwillige Feuerwehren und Gewerkschaften aus eigenem Antrieb über Europa diskutieren. Der mögliche, taktische Nebeneffekt der Debatten-Übung: Es könnten neue Parteien entstehen, die es LRM im Europaparlament erleichtern Bündnispartner zu finden.

Für Macron-Freunde ist dieser Marsch der zweite: Auch seine Präsidentschaftskampagne wurde 2017 mit einem "Großen Marsch" vorbereitet, bei dem seine Anhänger von Tür zu Tür gingen. Die Mao-Assoziation, die das Wort "Marsch" in sich trägt, scheint Macron eher zu amüsieren als zu stören. Als Präsidentschaftskandidat sprach er unter anderem im TV-Sender RTL davon, dass er "Maoist" sei und eine "Kulturrevolution" plane. Die Kulturrevolution von Chinas Kommunistischer Partei unter Mao Zedong kostete Hunderttausende Chinesen das Leben.

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Quelle:
SZ vom 09.04.2018
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