Zentralrat der Juden:"Die Aussagen Seehofers bergen eine Gefahr"
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Der Zentralrat der Juden kritisiert die Kommentare des CSU-Chefs zur Flüchtlingspolitik. In der Debatte werde ein entscheidender Punkt übersehen, sagt der Vorsitzende Schuster.
Von Yannick Nock
SZ: Herr Schuster, die Angriffe auf Juden haben im vergangenen Jahr deutlich zugenommen. Droht Deutschland ein neuer, offener Antisemitismus?
Josef Schuster: Das ist eine zu pessimistische Sichtweise. Untersuchungen zeigen, dass 20 Prozent der Bevölkerung antisemitische Vorbehalte haben. Diese Zahl ist in den vergangenen Jahren konstant geblieben. Was sich allerdings geändert hat, ist die Qualität der Angriffe: Sie sind massiver und lauter geworden.
Eine neue Art von Menschenfeindlichkeit zeigt sich auch im Umgang mit Asylbewerbern. Flüchtlingsheime werden angezündet, Steine auf Helfer geworfen.
Man darf bei all diesen Ereignissen nicht vergessen, dass es in Deutschland sehr viele Menschen gibt, die sich stark für Flüchtlinge engagieren. Trotzdem ist die Fremdenfeindlichkeit, insbesondere in dieser Aggressivität, wie wir sie nun erleben, besorgniserregend.
Früher galt Fremdenfeindlichkeit hauptsächlich als Problem des Ostens, nun scheint sie sich auch stärker in den alten Bundesländern zu verbreiten. Sind die Vorbehalte im Westen gestiegen?
Das ist schwierig einzuschätzen. In Bayern merkt man, wie sehr das Thema die Bevölkerung beschäftigt, bedingt durch die hohe Anzahl Flüchtlinge, die aus Italien oder Österreich ins grenznahe Gebiet kommen. Den Bürgern werden die Probleme und Herausforderungen der Asylpolitik deutlich vor Augen geführt. Vermutlich deutlicher als in anderen Landesteilen.
CSU-Chef Horst Seehofer spricht von einem "massiven Asylmissbrauch", besonders durch Flüchtlinge vom Balkan. Sind brennende Flüchtlingsheime die Konsequenz einer aufgeheizten politischen Debatte?
Was gegen diese These spricht, ist, dass die Brandangriffe der letzten Wochen vor diesen Aussagen stattgefunden haben.
Aber die Debatte hat sich in der CSU schon länger hochgeschaukelt.
Von Hochschaukeln würde ich nicht sprechen, allerdings bergen die jüngsten Aussagen von Ministerpräsident Seehofer die Gefahr, eine Stimmung im Land zu fördern, die genau solche Auswüchse provozieren kann. In der Debatte sollte deutlich werden, dass es viele Flüchtlinge gibt, die gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Ich halte es für ein Armutszeichen, dass die Europäische Union bei ihrem Sondertreffen diese Woche keine Lösung gefunden hat, wie sie 60 000 Flüchtlinge verteilen kann. Diese Anzahl sollte Europa gut verkraften können. Ich finde es nicht akzeptabel, dass sich einige Länder einfach sperren, besonders wenn es sich um wirtschaftlich starke Nationen handelt.
Welche Rolle sehen sie für Deutschland in der Flüchtlingspolitik?
Deutschland sollte aufgrund seiner Geschichte und seiner Erfahrung mit Flucht und Vertreibung ein hohes Verständnis für Flüchtlinge aufbringen. Zudem sind wir nach wie vor ein wohlhabendes Land. Deshalb sollten wir Menschen aufnehmen, die vor einem Bürgerkrieg in ihrem Land fliehen, wie derzeit die Syrer. Wenn ich aber sehe, wie heute einige Bürger gegen Flüchtlinge hetzen, dann frage ich mich: Wie sehr ist das hohe Gut der Menschenwürde eigentlich noch in den Köpfen verankert? Denn auch die Menschenwürde von Flüchtlingen gilt es zu wahren.
Wie lässt sich das Verständnis für Flüchtlinge und Minderheiten in Deutschland erhöhen?
Das beginnt in den Schulen. Wenn Kinder mit Migrationshintergrund gut in eine Klasse integriert werden und mit einheimischen Kindern aufwachsen, fördert das das Verständnis füreinander. Natürlich ist das keine Lösung für die nächsten vier Wochen, aber ein wichtiger Schritt für die Zukunft.