Süddeutsche Zeitung

Finanzskandal:Abrechnung mit dem "System Eichstätt"

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Ein Untersuchungsbericht in der Diözese rügt die "teilweise sogar kirchenrechtswidrigen Strukturen". Ein enger Zirkel inkompetenter Kleriker habe alle Machtstellen besetzt.

Von M. Drobinski, N. Richter und K. Riedel, Eichstätt

Gregor Maria Hanke, der Bischof von Eichstätt, ist in der schlichten, schwarzen Benediktinerkutte gekommen, er hat sich an den linken Rand des Tisches gesetzt. Der Platz in der Mitte gehört heute dem Rechtsanwalt Ulrich Wastl von der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl. Er soll für die Journalisten den 160 Seiten umfassenden Bericht über den Finanzskandal zusammenfassen, der vor einem Jahr öffentlich wurde: 31 ungesicherte Darlehen über insgesamt 60 Millionen Dollar hatte der einstige Vize-Finanzdirektor unter anderem in Texas vergeben. Wie konnte das passieren? Was wusste der Bischof, der den Vize-Finanzdirektor aus Studienzeiten kannte?

Vor einem Jahr traf man in Eichstätt einen bedrückten, bleichen Bischof Hanke, der von einer "Aschewolke" sprach, die über dem Bistum liege. Damals dachte er ernsthaft an Rücktritt, nun tritt er wesentlich entspannter auf - der Prüfbericht entlastet ihn einigermaßen, vor allem von dem Vorwurf, den Vize-Finanzdirektor besonders gefördert und bei der Anlagepolitik des Bistums unrealistische Renditeziele akzeptiert zu haben.

Umso härter geht Wastl mit dem Domkapitel ins Gericht, mit den führenden Geistlichen des Bistums. Noch nie hat ein immerhin von der Kirche in Auftrag gegebener Bericht so scharf den "Klerikalismus" gegeißelt, den es im Bistum gegeben habe. "Ein enger Zirkel hochrangiger Kleriker besetzte sämtliche zentralen Macht- und Schaltstellen innerhalb der operativen Verwaltung", schreiben die Anwälte. Die Männer seien zwar inkompetent, aber Berater und Kontrolleure in einem gewesen. Besonders hart geht der Bericht mit dem ehemaligen Domdekan und Finanzdirektor ins Gericht. Er sei "Hauptverantwortlicher auf der diözesanen Leitungsebene"; sein Tun sei "in hohem Maße verantwortungslos und pflichtwidrig" gewesen. Der Ex-Finanzchef hat den Vorwurf bei internen Stellungnahmen offenbar zurückgewiesen.

Der Finanzdirektor und sein Vize flogen erster Klasse nach Manila, ein Geschäftspartner zahlte

Bis ins Jahr 2004 zurück hat die Münchner Kanzlei den Umgang des Bistums mit seinem Geld nachverfolgt. Sie spricht dabei von einem "System Eichstätt", das der Zirkel der Kleriker geschaffen habe, offenbar noch unter Hankes Vorgänger Walter Mixa, der später als Bischof von Augsburg zurücktreten musste, weil er als Pfarrer Kinder geschlagen haben soll. Aufgefallen waren die dubiosen Geldanlagen erst, als das System bröckelte, weil der Bischof im Zuge der kirchlichen "Transparenzoffensive" die Finanzen seines Bistums von externen Fachleuten hatte durchleuchten lassen. Der genaue Schaden lässt sich nicht absehen; Verhandlungen über mögliche Rückzahlungen gestalteten sich schwierig. Gegen den früheren Vize-Finanzdirektor und dessen Geschäftspartner sowie gegen zwei weitere Personen ermittelt die Staatsanwaltschaft München II unter anderem wegen Korruptionsverdachts.

Die externen Gutachter lenken die Aufmerksamkeit nun auch auf die Rolle des einstigen Finanzdirektors. Zum einen wurden die Darlehen für die US-Projekte während seiner Amtszeit gewährt. Der einstige Finanzchef soll sich darauf berufen haben, dass er sich auf seinen fachlich versierteren Stellvertreter verlassen habe, was auch den kirchlichen Gepflogenheiten entsprochen habe. Aus Sicht der Kanzlei lässt sich die Verantwortung des Ex-Finanzchefs allerdings nicht relativieren: "Denn allein schon anhand einfachster ... Kontrollfragen hätte ihm klar sein müssen, dass derartige hochriskante Finanzgeschäfte ... nicht in Betracht kommen".

Der Bischof will den Mitgliedern des Domkapitels eine neue Chance geben

Der Finanzchef soll sich der Kanzlei zufolge schon bei früherer Gelegenheit unverantwortlich verhalten haben. Wie es im Untersuchungsbericht heißt, soll sich die Diözese im Jahr 2012 auf Betreiben ihres Finanzdirektors mit fünf Millionen Euro an einer Gesellschaft für Frachtschiffe beteiligt haben, obwohl ein externer Anlageberater davor gewarnt hatte. Das Investment endete offenbar mit einem Totalverlust. Der Kanzlei zufolge flog der Finanzdirektor zusammen mit seinem damaligen Vize 2012 auf Kosten des Investmentpartners in der ersten Klasse in die philippinische Hauptstadt Manila, um sich über das Frachtgeschäft zu informieren. Die Reisekosten für die beiden dürften sich nach Schätzung der Kanzlei auf weit über 20 000 Euro belaufen haben. Die Kanzlei wirft damit die Frage auf, ob der Finanzdirektor bei der Entscheidung über das Investment unbefangen war. Der Anwalt des ehemaligen Finanzchefs äußerte sich auf Anfrage von SZ, NDR und WDR nicht. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft München II fungiert der Ex-Finanzdirektor nicht als Beschuldigter, sondern nur als Zeuge.

Schonungslos legt der Bericht mit dem Titel "Finanzskandal im Bistum Eichstätt - Ursachen, Verantwortlichkeiten, Konsequenzen und Empfehlungen" die systemischen Defizite offen, die den Skandal begünstigten. So sei der Posten des Finanzchefs lange mit einem Mitglied des Domkapitels besetzt worden. Das Domkapitel sei in Eichstätt ungewöhnlich einflussreich gewesen und habe "umfassenden Herrschafts- und Leitungsanspruch" erhoben.

Zur Rolle des Bischofs heißt es im Bericht, ihm sei allenfalls vorzuwerfen, "dass er zu spät ... die verkrusteten und teilweise sogar kirchenrechtswidrigen Strukturen des ,Systems Eichstätt' beseitigt hat". Dies gelte jedenfalls ab 2013, als ein Skandal im Bistum Limburg eine breite Debatte über Kirchenfinanzen auslöste. Auch dem damaligen Aufsichtsgremium, dem Vermögensverwaltungsrat der Diözese, könne kein grundsätzlicher Vorwurf gemacht werden, "allein schon deshalb, weil in diesem System eine fachlich vertiefte oder gar kritische Auseinandersetzung mit den Verhaltensweisen der Verantwortlichen in der Finanzkammer ... schlicht und ergreifend nicht vorgesehen war".

Wie geht es weiter in Eichstätt? Nein, er werde nicht zurücktreten, stellt Hanke klar, "ich will Verantwortung übernehmen". Nach wie vor treibe es ihn um, dass er nicht früher und konsequenter gehandelt habe, sagt er, noch mehr aber der Vertrauensverlust der Menschen, der sei für ihn "zutiefst beschämend". Sollten dann nicht die Mitglieder des Domkapitels zurücktreten, die damals im Amt waren und es heute noch sind? Hanke kommt ins Schlingern - das Domkapitel ist eine Körperschaft öffentlichen Rechts, der Bischof kann seine Mitglieder nicht einfach austauschen. "Warum sollen sich Menschen nicht weiterentwickeln können?", fragt der Bischof zurück. Man wird im kleinen Eichstätt weiter miteinander leben müssen - der Bischof und sein Domkapitel.

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SZ vom 06.02.2019
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