Süddeutsche Zeitung

Evangelische Kirche:"Ich stehe für was Neues"

Lesezeit: 4 min

In ihren Gottesdiensten sitzen 25 Menschen, im Internet erreicht sie Tausende: Pastorin Josephine Teske zeigt auf Instagram ihren ganz normalen Alltag als Pfarrerin, Mutter, Feministin. Am Wochenende kandidiert sie für den Rat der EKD. Die Kirche auf Verjüngungskurs.

Von Ulrike Hauswald, Büdelsdorf

Mit zwei schnellen Handbewegungen wird das dunkelblonde Haar in einen Dutt gewickelt. Ein paar Strähnen stehen ab? Egal. Talar über die Schultern geschwungen und Mikrofon am Ohr befestigt - in wenigen Minuten ist Josephine Teske bereit für die bevorstehende Beerdigung. Unter dem schwarzen Gewand trägt sie Jeans und T-Shirt, praktisch für den nächsten Termin. Die Predigt hat die Pastorin zwischen Kinder-zu-Bett-bringen und digitaler Andacht geschrieben.

Seit drei Jahren ist Teske Pastorin im kleinen schleswig-holsteinischen Ort Büdelsdorf. 25 Prozent ihrer Arbeitszeit darf sie ganz offiziell zur "Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Welt" nutzen. Unter "Seligkeitsdinge" zeigt Teske in dem sozialen Netzwerk Instagram ihr Leben als Pastorin. In ihren Gottesdiensten sitzen meist 20 bis 25 Gläubige. Ihre Instagram-Stories verfolgen durchschnittlich 15 000 Menschen.

Sie nimmt ihre Follower mit in die Kirche, in die Konfirmandengruppe, zeigt Gemeindearbeit. Aber auch die verschwitzte "Phine" nach dem Sport, der angebrochene Eisbecher oder die Unlust, den Wäscheberg wegzuräumen, werden nicht versteckt. "Ich glaube, das ist, was den Leuten an mir als Pfarrperson gefällt. Sie sehen: Eine Pastorin ist auch ein ganz normaler Mensch", sagt die 35-Jährige.

Und ihre Botschaften sollen noch mehr Menschen erreichen: Am kommenden Wochenende kandidiert Teske auf der 13. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Bremen für den Rat der EKD. Dieses 15-köpfige Gremium aus Theologen und Laien hat die Aufgabe, die EKD zu leiten und nach außen zu vertreten. Vorgeschlagen hatte Teske die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt, von 2009 bis 2013 selbst Präses der Synode. In einem langen Telefonat hatte Göring-Eckardt Teske in ihrer Kandidatur bestärkt.

Teske kann zwar nicht mit einem großen Netzwerk oder kirchlichen Leitungsfunktionen punkten. Aber: "Ich bin nicht nur die Pastorin aus Büdelsdorf, sondern eben auch von 'Seligkeitsdinge'. Ich stehe für einen Blick nach vorne, für was Neues und Modernes, und für meine Gabe, mit Menschen außerhalb der Kirche über Kirche und Glaube zu kommunizieren." Und sie ist nicht allein damit. Das evangelische Content-Netzwerk "yeet" (ein verlängertes "yes", engl. für "ja") vernetzt Menschen, die den christlichen Glauben in den sozialen Medien abbilden wollen. Dazu gehört beispielsweise auch das lesbische Ehepaar Ellen und Steffi Radtke, die zeigen, wie die Verbindung "queer und Kirche und Dorf" funktioniert.

"Ich bin auch ein Vorbild im Scheitern"

Wie groß Teskes Chancen sind, ist schwer einzuschätzen. Bei den Abstimmungen kommt es immer wieder zu Überraschungen. "Es kommt auch darauf an, wie sich die Kandidaten präsentieren, wie ihre Tagesform ist, und in welche Richtung die Synode gerade 'zieht'", sagt Michael Herbst, Professor für Praktische Theologie in Greifswald. Trotzdem ist in der Evangelischen Kirche eine Aufbruchsstimmung erkennbar, ist mit Anna-Nicole Heinrich doch gerade erst eine 25-jährige Studentin zur Präses der EKD-Synode, des obersten evangelischen Kirchenparlaments, gewählt worden. "Frau Heinrich war das richtige Signal, und Frau Teske dürfte auch deshalb gute Chancen haben, weil sie für das Thema Digitalisierung steht, bei dem wir kirchlich nicht unbedingt Weltmeister sind", schätzt Herbst. Die Kirche will nicht nur moderner und digitaler werden, sondern sich auch verjüngen. Neben Teske bewerben sich mit Anna von Notz, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Bundesverfassungsgerichts, und der Theologiestudentin Julia Schönbeck noch zwei weitere junge Protestantinnen für einen Sitz im Rat.

Teske führt mittlerweile ein Taufgespräch mit den Eltern des kleinen Paul, notiert Wünsche und Bitten, ist aufmerksam und herzlich. Pauls Eltern kennen Teske von Instagram. Sie besuchten ihren Gottesdienst, hörten sie predigen - dann war ihnen klar: "Sie soll die Taufe übernehmen!" So was kommt öfter vor. Viele Instagram-Follower reisen für ihre Gottesdienste sogar aus Hamburg, Kiel oder Flensburg an.

Wenn Teske sich an ihre Follower und Followerinnen richtet, setzt sie sich gerne in ihren gelben Sessel. Ehrlich und offen redet sie über ihren Glauben und die Kirche, Homosexualität, Menstruation, aber auch ihren Alltag als getrennt erziehende und in Vollzeit arbeitende Mutter von zwei Kindern. Und ist dabei Identifikationsfigur für alle Mütter da draußen, denen es genauso geht, die manchmal verzweifeln oder ratlos sind. Dieser Verantwortung ist sie sich bewusst. "Ich bin ein Vorbild, aber ich definiere das für mich anders", erklärt sie. "Ich bin nicht perfekt und will es auch nicht sein. Ich mache nicht immer alles richtig. Ich bin eben auch ein Vorbild im Scheitern."

Der Austausch über Instagram ist niedrigschwelliger

Mehr als 31 000 Follower hat sie auf der Social-Media-Plattform - der Großteil davon weiblich. Zwischen 100 und 150 Nachrichten bekommt sie jeden Tag. Sie erreicht Tausende Menschen, die ansonsten keinen Bezug zur Kirche haben. "Vor allem als die Corona-Zeit begann, habe ich unglaublich viele Seelsorge-Anfragen bekommen", erzählt Teske. Der Austausch über Instagram ist eben direkter, unkomplizierter, niedrigschwelliger. Viele Erlebnisse, aber auch große Lebensthemen seien wieder aufgekommen.

Teske positioniert sich für Toleranz und Weltoffenheit, für sexuelle Selbstbestimmung und Geschlechtergerechtigkeit. Oft politisch, sehr oft feministisch. "Kirche braucht ganz unbedingt Feminismus", sagt Teske. "Es geht ja nicht nur um die Gleichstellung von Mann und Frau, sondern zu Feminismus gehört die Gleichstellung aller." Kirche solle für alle offenstehen, ein Ort, an dem Herkunft, Hautfarbe oder sexuelle Orientierung egal sind. "Jesus war auch Feminist. Wer, wenn nicht Jesus, wollte, dass alle Menschen gleich behandelt werden?"

Sollte Teske am 9. November in den Rat der EKD gewählt werden, will sie genau das für die Kirche der Zukunft: "Ich will, dass digitale Kirche als Verkündigungsort anerkannt und unterstützt wird, dass wir auch bei unseren Mitarbeitenden auf Themen wie Work-Life-Balance und mentale Gesundheit achten, und ganz besonders auf mehr Geschlechtergerechtigkeit." Sie will zeigen: "Die Welt ist heute anders, wir denken und sprechen auch anders. Kirche muss sich da anpassen und neue Wege gehen."

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