Süddeutsche Zeitung

Kleinparteien bei der Europawahl:"Die Großen wollen unsere Sitze"

Lesezeit: 3 min

In Deutschland sind sie "Sonstige", in Europa haben sie eine Chance, denn es gibt noch keine Sperrklausel. Bei der Europawahl treten so viele Kleinparteien an wie nie zuvor. Simone Wohnig berichtet von ihrem Wahlkampf für die ÖDP.

Interview von Zita Zengerling

Sieben von 96 deutschen Sitzen im Europäischen Parlament werden von Kleinparteien besetzt, unter ihnen die Freien Wähler, die Piraten, die satirische "Partei", aber auch die NPD. Bei der Europawahl gibt es in Deutschland, anders als auf Bundes- und Landesebene, keine Sperrklausel. Damit soll es 2024 vorbei sein. Dann soll, zumindest für größere EU-Staaten, eine Hürde von zwei bis fünf Prozent gelten. Für viele Kleinparteien ist die jetzige Europawahl also wohl die letzte Chance auf einen Platz im Parlament. Und noch nie nahmen so viele kleine Parteien an der Wahl teil. Simone Wohnig ist Wahlkämpferin der ÖDP im oberfränkischen Coburg. Ihre Partei ist aktuell mit einem Abgeordneten im Europaparlament vertreten.

SZ: Frau Wohnig, wie sieht Ihr Alltag im Wahlkampf aus?

Simone Wohnig: Ich arbeite Teilzeit und habe noch zwei Kinder zu Hause. Wenn die Kinder abends im Bett sind, setze ich mich an den Computer und organisiere den Wahlkampf hier im Kreis, plane Veranstaltungen und Aktionen. Am Wochenende bauen wir dann in der Innenstadt unseren Infostand auf und im Anschluss daran haben wir in den ersten Wahlkampfwochen noch Plakate aufgehängt.

Wie begegnen Ihnen die Leute in der Fußgängerzone?

Im Moment durchweg positiv, es gibt viel Lob für unser Bürgerbegehren zur Artenvielfalt. Aber manche behaupten, eine Stimme für die ÖDP sei eine verschenkte Stimme.

Ist sie das nicht?

Die Denkweise ist schon grunsätzlich falsch. Ich gehe auch nicht in ein Restaurant und bestelle das, wovon mir am wenigsten schlecht wird. Ich nehme, was mir wirklich schmeckt.

Bei der letzten Wahl konnte die ÖDP mit 0,6 Prozent der Stimmen einen Abgeordneten nach Brüssel schicken. In Deutschland würden Sie damit unter "Sonstige" landen.

Ich denke, dass wir auch bei dieser Europawahl auf jeden Fall wieder mit einem Sitz ins Parlament kommen, nach aktuellen Umfragen sogar mit zwei.

Das könnte das letzte Mal sein. Von 2024 an soll es eine Sperrklausel geben.

Das Gesetz ist bisher nicht beschlossen. Natürlich wollen die großen Parteien gerne auch noch unsere Sitze, aber kleine Parteien wie die ÖDP können genauso gute oder bessere Arbeit leisten wie sie. Auch unser Abgeordneter arbeitet in einer Fraktion und in Ausschüssen mit. Ohne die kleinen Parteien würde ein Blickwinkel fehlen.

Das aktuelle System öffnet auch extremistischen Parteien wie der NPD die Tür ins Europaparlament. Kann eine Sperrklausel da nicht helfen?

Das ist keine Lösung. Rechtsextremismus ist ein Problem, an dem man grundlegend arbeiten muss.

Ist der Wahlkampf für Sie schwieriger als für große Parteien?

Wir merken, dass sich große Medien in der Regel weniger für uns interessieren. Oft wird nur über die großen Parteien berichtet. Über die gescheiterte Zulassung eines Volksbegehrens der Grünen wird mehr berichtet als über die erfolgreiche Zulassung unseres Artenschutz-Volksbegehrens. Nach dem riesigen Erfolg dieses Volksbegehrens denken die Leute nun, die Grünen hätten es initiiert. Das ist manchmal schon frustrierend.

Wie geht Ihre Partei damit um?

Uns helfen die sozialen Medien. Dort können wir werben und Infos herausgeben, ohne auf Zeitungen angewiesen zu sein.

Bei einer großen ökologischen Partei wie den Grünen hätten Sie mehr Gestaltungsmöglichkeiten. Warum entscheidet man sich trotzdem für eine Kleinpartei - ohne Sitz im Bundes- oder in einem Landtag?

Eigentlich hatte ich mit Politik nie etwas am Hut. Politik war für mich nicht immer ehrlich. Als ich 2014 zur ÖDP gekommen bin, gefiel mir, dass es ihr mehr um die Sache geht und die Partei in den Hintergrund tritt. Mit den Grünen arbeiten wir auf kommunaler Ebene oft gut zusammen. Aber sie haben einige Punkte, mit denen ich mich nicht identifiziere, zum Beispiel in der Familienpolitik oder in der Gentechnik. Und die ÖDP nimmt keine Unternehmens- und Firmenspenden an. Das macht sie für mich aus.

Aber muss man, um seine Ideale zu erreichen, nicht auch Kompromisse eingehen?

Heutige Politik macht wahrscheinlich schon zu viele Kompromisse. Ich stehe voll hinter dem, was ich hier mache, auch wenn wir nicht in den Regierungen sitzen. Es gibt genug andere Möglichkeiten auf kommunaler Ebene oder durch Bürger- und Volksbegehren, politisch Einfluss zu nehmen.

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