Süddeutsche Zeitung

Europäisches Parlament:Wenn er nicht geht, dann gehen wir

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Die Kroatische Bauernpartei verlässt die EVP-Fraktion - aus Ärger über Ungarns Premier Viktor Orbán.

Von Tobias Zick, München

Die Europäische Volkspartei, kurz EVP, ihrem Wesen nach als "Parteienfamilie" bezeichnet, erweist sich derzeit als genau das: eine Familie, und zwar eine ziemlich normale. Man kann nicht miteinander, aber auch nicht ohneeinander, es gibt demonstrativen Zusammenhalt nach außen und Stunk im Inneren; es gibt die Mutti, an der sich alle reiben und die den Haufen doch irgendwie zusammenhält, und dann gibt es noch den schon immer etwas sonderbaren Onkel, der in der Midlife-Crisis seine rebellische Ader neu entdeckt und es jetzt allen mal so richtig zeigt.

Ungarns Regierungschef Viktor Orbán also hat sich entschlossen, eines der Familienoberhäupter der EVP, nämlich EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, per Plakatkampagne zu verleumden: "Auch Sie haben ein Recht zu erfahren, was Brüssel vorbereitet", teilt Orbán seit vergangener Woche dem ungarischen Volk per Schriftzug unter Junckers Antlitz mit und führt wahrheitswidrig aus, die EU wolle etwa "das Recht der Mitgliedstaaten auf Grenzschutz schwächen". Seither diskutiert man in der EVP, ob man den provokationslustigen Onkel endlich aus der Parteienfamilie hinauswerfen sollte, oder ob man dadurch nicht vor der Europawahl im Mai die Fronten zusätzlich verhärten und zudem die konservative Mehrheit im Europaparlament gefährden würde.

Ein Korruptionsskandal lastet bis heute schwer auf den kroatisch- ungarischen Beziehungen

Unterdessen ist bei der Verwandtschaft weiter im Süden jetzt der Geduldsfaden gerissen. Der Vorstand der Kroatischen Bauernpartei (HSS), die im Europaparlament immerhin eine Abgeordnete stellt und zusammen mit der größeren Regierungspartei Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ) der EVP angehört, hat jetzt den Ausstieg aus der zerstrittenen Familie beschlossen: "Mit der Zeit hat sich diese Gruppierung verändert", heißt es in der schriftlichen Begründung. Der Vorsitzende der Bauernpartei, Krešo Beljak, wirft dem ungarischen Premier vor, er versuche, sich "Zugang zum kroatischen Medienmarkt zu verschaffen, um Hass zu säen und Ideen zu verbreiten, die wir bei der HSS inakzeptabel finden". Auch wolle man sich distanzieren von "inländischen Verrätern, die sich als Wahrer kroatischer Interessen geben, aber alles Mögliche in ausländische Hände geben, zuletzt die INA." Gemeint ist die einst staatliche kroatische Ölgesellschaft INA, die nach und nach vom ungarischen Konzern MOL übernommen wurde - offenkundig nicht auf ganz sauberem Weg: Die kroatische Antikorruptionsbehörde wirft dem Vorstandschef von MOL vor, den früheren kroatischen Premier Ivo Sanader bestochen zu haben. Der Fall INA lastet bis heute schwer auf den kroatisch-ungarischen Beziehungen.

Doch nicht nur Ungarn und dessen Regierungschef Orbán haben die Kroatische Bauernpartei zum Bruch mit der konservativen Familie getrieben, sondern, in den Worten des Vorsitzenden Beljak, auch jene, die "Anspruch auf kroatisches Territorium erheben". Namentlich sind das der Präsident des Nachbarlands Serbien, Aleksandar Vučič, und der Italiener Antonio Tajani, Präsident des Europäischen Parlaments und Mitglied der seinerzeit von Silvio Berlusconi gegründeten Partei Forza Italia - und damit auch der EVP. Der hatte bei einer Gedenkveranstaltung für Opfer des Zweiten Weltkriegs bei Triest am 10. Februar verkündet: "Es lebe das italienische Istrien, es leben das italienische Dalmatien!"

Da die genannten Regionen heute zu den jugoslawischen Nachfolgestaaten Slowenien und Kroatien gehören, reagierten die dortigen Regierungen mehr als pikiert. Die kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović sagte, solche Äußerungen seien "der Versöhnung, dem Zusammenleben und den zivilisatorischen Werten, auf denen die Europäische Union fußt, nicht zuträglich". Bauernpartei-Chef Beljak bezeichnete Tajanis Jubelrede als "skandalös" und twitterte, seine Partei werde einen Austritt aus der EVP prüfen.

Dass Tajani kurz darauf sein Bedauern darüber ausdrückte, dass er "missverstanden" worden sei, genügte nicht, um die Gemüter zu besänftigen. Und eine Woche später enthüllte Viktor Orbán seine neue Anti-Europa-Plakatkampagne.

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SZ vom 27.02.2019
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