Süddeutsche Zeitung

Emmanuel Macron:Ich liebe euch

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Ihr seid arm, hier habt ihr Geld: Frankreichs Präsident bricht radikal mit seinem Reform- und Sparkurs. Die Gelbwesten wird er damit nicht gewinnen. Zu groß ist deren Wut auf "die da oben".

Von Nadia Pantel

Macronie nennen die Franzosen die Politik ihres Präsidenten, weil er selbst im Zentrum aller Entscheidungen zu stehen scheint. Dieses Wort ist noch einmal zutreffender geworden, nachdem Emmanuel Macron sich am Montagabend in einer Rede an die Nation gewandt hat. Die Stimme sanft, der Blick so verbindlich, als bemühe er sich, jeden einzelnen der 21 Millionen Zuschauer persönlich anzusprechen. Sachlich betrachtet sagte der Präsident den Wütenden im Land: Ihr seid arm, hier habt ihr Geld. Doch seine strategische Botschaft lautete: Ich liebe euch. Er versucht nicht mehr, seine Politik zu erklären oder auch nur ihr treu zu bleiben. Er begibt sich auf die Ebene der Wütenden, er regiert mit Gefühlen. Seine Entschuldigung ist wie der viel zu große Blumenstrauß eines untreuen Ehemanns: Man möge bitte nicht mehr übers Grundsätzliche sprechen, sondern sich daran erinnern, wie schön man es zusammen haben könnte.

Alle, die Macron in der Hoffnung gewählt hatten, seine liberalen Wirtschaftsreformen würden von einer umsichtigen Sozialpolitik begleitet werden, wurden in den vergangenen ersten 18 Monaten seiner Präsidentschaft enttäuscht. Und nun verteilt der strenge Reformer auf einmal Almosen? Die Verbeugung vor den Gilets jaunes steht nicht für ein Umdenken des Präsidenten; sie zeigt, dass er Angst hat. Nach vier Wochen Krawall und Chaos wackelt in Frankreich der soziale Frieden. Macron versucht, sich Ruhe zu erkaufen.

In gewisser Weise steht sein Einlenken sogar in der Logik seiner Amtszeit. Macron ist Pragmatiker. Er hat verstanden, dass viele ihn nicht nur ablehnen, sondern leidenschaftlich hassen. Niemand, sagte der Präsident dem Volk, stehe zwischen ihm und dem Einzelnen. Man kann in dieser Feststellung dasselbe Misstrauen gegenüber der repräsentativen Demokratie erkennen, wie es die Menschen in gelben Warnwesten zeigen. Macron spielt immer wieder mit der Behauptung, er stehe außerhalb des Systems. Diese Inszenierung als Revolutionär und Außenseiter, die er schon als Präsidentschaftskandidat betrieb, war und bleibt gefährlich, weil sie funktionierende, demokratische Institutionen entwertet. In seinem Versuch, sich nun auf die Seite der Protestierenden zu stellen, nimmt Macron in Kauf, dass sich das Bild verfestigt, der Staat sei ein feindlichen System, das es nicht nur zu reformieren, sondern ganz grundsätzlich abzuschaffen gelte.

Im Gegensatz zu den Gelbwesten-Demonstranten will Macron das System aber natürlich nicht zerschlagen. Er will es nur möglichst ungestört durch Zwischenrufe managen. So oft wie Macron von "Dialog" spricht, könnte man meinen, dass sein Politikstil auf lebendiger Debatte beruhe. Doch das tut er nicht. Wenn Macron sagt, er höre zu, dann bedeutet es nicht, dass er einen Rat annimmt. Sein "Ich höre zu" bedeutet: Ich registriere, dass du die Dinge anders siehst als ich, weil du mich nicht richtig verstanden hast. In Macrons Vision für Frankreich lassen sich alle Widersprüche auflösen: Es gibt keine zerstrittenen Lager mehr, sondern einen gemeinsamen Glauben an gute Lösungen. Dieses Beschwören von Einigkeit gepaart mit Pathos ist verführerisch, es hat Macron ins Amt gebracht.

Doch nun steht der Präsident vor dem Problem, dass sich die zerstrittenen Lager anders formiert haben. Der aktuelle Kampf, der jedes Wochenende zu revolutionsartigen Szenen führt, wird nicht zwischen links und rechts ausgetragen. Er wird als Kampf zwischen unten und oben geführt. Die Gelbwesten zerstören nicht deshalb Banken und Geschäfte, weil sie gegen das kapitalistische System an sich wären. Sie sind von Frust und Wut getrieben. Macron wird zur Zielscheibe, weil er das "Oben" markiert. Er hat in einer Bank Millionen verdient. Für viele Franzosen repräsentiert Macron den abgehobenen Streber, der auf alle hinabblickt, die nicht so belesen und erfolgreich sind wie er.

Die Herablassung, mit der sich Macron immer wieder über weniger Gebildete und weniger Selbstbewusste geäußert hat, wurde im übrigen Europa kaum registriert. Die Franzosen jedoch speicherten sie wie in einem Elefantenhirn. Es stimmt nicht, dass Macron in seiner Politik die oberen Zehntausend begünstigt hätte. Gerade seine Bildungspolitik zielt darauf ab, mehr Menschen Zugang zu Arbeit und einem selbstbestimmten Leben zu ermöglichen. Doch der Präsident verlässt sich nicht darauf, dass seine Politik überzeugt. Er will höchstpersönlich eine Erfolgsgeschichte verkörpern. Seit Sommer kann man Fanartikel mit seinem Konterfei im Élysée kaufen, als sei er ein Popstar.

Macron und die Gilets jaunes haben auf je ihre Weise die Logik der Fünften Republik tief verinnerlicht: Ein großer Einzelner soll alles richten, beziehungsweise ist an allem schuld. Macron wird es nicht gelingen, die Gelbwesten für sich zu gewinnen, sie zählten ohnehin nicht zu seinen Wählern. Auch wenn er weiter sein Programm verfolgt, Regierung und Opposition in Personalunion sein zu wollen.

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Quelle:
SZ vom 12.12.2018
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