Süddeutsche Zeitung

Editorial:Über die Neuvermessung der Welt

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Die diesjährige Münchner Sicherheitskonferenz gerät angesichts der Weltprobleme zu einem Spiel ohne Grenzen.

Von Stefan Kornelius

Die Münchner Sicherheitskonferenz ist längst ein Gradmesser für die Zustände in der Welt geworden. Sie bildet jedes Jahr auf ein paar Tausend Quadratmetern Hotelfläche ab, was 510 Millionen Quadratkilometer Erdoberfläche an Spannungen und Krisen zu bieten haben. Darin liegt ihr Wert. Die Vorstellung von einer großen Problemlösungsmaschine, die sich, wenn schon nicht bei den Vereinten Nationen, so doch wenigstens in München versammelt, die ist natürlich naiv. Außenpolitik funktioniert so nicht, ganz besonders nicht in diesen Zeiten. So wenig also Heilige und Wundertäter in München zusammenkommen, so wenig handelt es sich aber auch um Kriegstreiber oder Waffenschieber. Diese Kategorisierung benutzen Kritiker der Konferenz in ihrem Versuch, den Akteuren der Außen- und Sicherheitspolitik die Legitimation und den guten Willen abzusprechen.

Zwangsläufig gerät ein Austausch über die großen Weltprobleme momentan zum Spiel ohne Grenzen. Wo anfangen, wo aufhören? Das in aller Welt verbreitete Gefühl großer Unsicherheit entsteht ja, weil die gewohnten Haltepflöcke für Stabilität und Ordnung wackeln und brechen. In den Themen der Münchner Konferenz spiegelt sich diese Haltlosigkeit. Geradezu frenetisch suchen die für das Weltgewese zuständigen Politiker nach "the next big thing", diesem Zauberthema, mit dem sich Hierarchie, Ordnung und innerer Frieden wieder herstellen lassen. Freilich lehrt schon die historische Erfahrung, dass Menschen in Zeiten des Übergangs und der Ungewissheit immer erst den eigenen Vorteil und Machtgewinn gesucht haben.

Apropos Geschichte: Wer unsicher ist, der sucht Vergewisserung in der Vergangenheit, der hält Ausschau nach Analogien und Botschaften aus dem historischen Jenseits. Gerade das Jahr 2018 mit seinen Bezugslinien zum Dreißigjährigen Krieg und zum Ende des Ersten Weltkriegs eröffnet eine Goldgrube für die Forscher mit dem historischen Sieb und dem Archäologenpinsel. Doch die Vergangenheit sollte mit Vorsicht genossen werden, schreibt Joachim Käppner auf dieser Seite, zu viele Scharlatane missbrauchen sie für ihre populistischen Zwecke. Gleichwohl können sich auch diese sicherheitspolitischen Seiten dem Sog der Geschichte nicht entziehen, gerade um die Zukunft begreifbar zu machen (wie es der Historiker Yuval Noah Harari in atemberaubender Schärfe im Interview vormacht).

Was also sind die großen Treiber der Weltpolitik? Zunächst die klassischen Akteure, die Groß- und Kleinmächte. Die USA ziehen sich zurück und schaffen Platz für Neues. Russland, die Türkei und vor allem China spannen ihre Muskeln. Die Dehnversuche sind bis ins Innerste der Europäischen Union zu spüren. Ordnung schafft das nicht. Wie sich das auf die alte Tante Nato auswirkt, beschreiben wir mit einer Reportage aus Gotland und mit einem unkonventionellen Vorschlag zum Umgang mit Moskau.

Und dann sind da die neuen Angstmacher, die typisch sind für das neue neuen Zeitalter der Unberechenbarkeit: Digitalisierung und technischer Fortschritt etwa, die bedrohliche Szenarien etwa für die nukleare Kriegsführung plötzlich realistisch erscheinen lassen. Auch Kommunikation steht (wieder) im Zentrum einer verunsicherten Welt. Wer lügt, wer sagt die Wahrheit? Und wie kann man einem Präsidenten glauben, der zwischen dem einen und dem anderen nicht zu unterscheiden weiß? Die Wahrheit ist nicht nur das erste Opfer des Krieges, sie ist Spielmasse im Kampf um Deutung und Dominanz geworden. Auch das wird man auf der Münchner Konferenz beobachten können.

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Quelle:
SZ vom 15.02.2018
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