Digitale Weinprobe:Stößchen im Stream
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Der Pandemie wegen haben viele Weingüter ihre Verkostungen ins Internet verlegt. Mit erstaunlichem Erfolg.
Die Reise nach Hessen war fest eingeplant bei den Melsheimers. Erst wollten sie ihre Weine im Café einer Tante vorstellen, in Fulda. Dann weiter nach Kassel. Verkostungen in Holland, Belgien - "wir waren noch nie so gut gebucht wie in diesem Jahr", sagt Franz Melsheimer. Das war Mitte März. Drei Tage vor dem Fulda-Trip sagte der Winzer alle Termine ab: Corona. "Stattdessen haben wir gefilmt."
Es ist ein Schicksal, das sie mit vielen Weingütern teilen. Normalerweise ist der März einer der umsatzstärksten Monate. Auf Weinfesten und bei Verkostungen stellen sie vor, was ihre Keller zu bieten haben. Stattdessen: Stillstand, jedenfalls auf Marktplätzen und in Weinläden. Die Melsheimers, neun Hektar Reben an der Mosel, sechste Generation, setzten sich in die gute Stube und degustierten ihre Bio-Weine vor laufender Kamera: für die digitale Weinprobe. 500 Mal versandten sie den zugehörigen Wein, von Hand abgefüllt in Viertelliter-Flaschen. Verkostet wurde daheim, mit dem Winzer im Stream. "Im Nachhinein muss man sagen, das hat uns gerettet", sagt Melsheimer.
Am Freitag legte das Deutsche Weininstitut neue Zahlen für den Weinkonsum vor: Zwischen April und Juni, der Zeit des großen Stillstands, wuchs der Absatz um 12,5 Prozent. Deutsche Weine profitierten besonders, mit 14 Prozent plus. Supermärkte verkauften mehr, und nach Online-Verkostungen, wie sie Winzer teils auch per Videokonferenz anboten, bestellten viele Wein, als gäbe es kein Morgen. Und das gern regional.
In der Südpfalz wurde ein komplettes Weinfest ins Netz verlegt. Wer teilnehmen wollte, ließ sich ein Päckchen mit zwei Weinflaschen und den Zutaten für einen Saumagen-Burger liefern. 1000 Pakete packten die Organisatoren. "Damit hätten wir nie gerechnet", sagt Cristina Witte-Parra vom Verein Südliche Weinstraße. "Mehr ging nicht." Der Film zum Schoppen lief bei Youtube, samt Volksmusik, Weinprinzessinnen und zwei Winzern, die im Weinberg die "Pfälzer Schluckimpfung" vorstellten: "Die schönste Desinfektion, wo man sich vorstellen kann - und gelebte Solidarität zu den Winzern."
Solidarität können sie immer noch gebrauchen. Die Gastronomie steht für mehr als ein Viertel des Absatzes - und darbt immer noch. Der Export läuft nicht mehr so gut. Und wenn durch die Pandemie doch weniger Wein verkauft wird, drückt das nächstes Jahr auf die Preise. In Frankreich, Italien und Spanien hat der Staat schon Wein aufgekauft, zur "Notdestillation": für Desinfektionsmittel.
Ob deutsche Winzer mit ihrer Online-Offensive der Krise entgehen können? "Auf jeden Fall erreichen sie damit Leute, die bisher nicht in Weinregionen gefahren sind", sagt Christian Schwörer, Generalsekretär des Deutschen Weinbauverbands. Ob das aber die Verkostung am Gut ersetzen könne, da gebe es Zweifel.
Winzer Melsheimer, 39, schaut derzeit ohnehin mehr in den Himmel als auf den PC: Das Wetter der nächsten Wochen entscheidet über den neuen Jahrgang. Wenn es nicht zu viel regnet, könne der sogar werden wie der gute 2018er, sagt er. "Aber das weiß man erst, wenn die Trauben im Keller sind." Das hat schon sein Großvater gesagt.