Süddeutsche Zeitung

Deutschland:Ganz und gar nicht rosarot

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Wie war das 1990 mit der Einheit? Oskar Lafontaine, damals Kanzlerkandidat der SPD, und Peter-Michael Diestel, der CDU-Politiker aus der DDR, der Helmut Kohl zum Wahlsieg verhalf, erinnern sich. Ein Streitgespräch.

Von Helmut Lölhöffel

Peter-Michael Diestel - wer war das denn noch? Ach ja, der letzte Innenminister und sogar stellvertretende Ministerpräsident der DDR. Jahrgang 1952, Mitglied der CDU, als Rechtsanwalt in Potsdam nicht mehr in der Politik aktiv. Fast wäre er vergessen. Oskar Lafontaine, den kennt jeder: War Ministerpräsident des Saarlandes, Vorsitzender der SPD, später der Partei Die Linke. Jahrgang 1943, außerhalb des Zentrums der Politik, aber noch Oppositionsführer im saarländischen Landtag. Die Wege der beiden haben sich einmal gekreuzt. Als Lafontaine 1990 bei der ersten gesamtdeutschen Wahl Bundeskanzler werden wollte, durchkreuzte Diestel ihm seine Absicht mit der konservativen "Allianz für Deutschland" und verhalf Helmut Kohl zum Erfolg. 25 Jahre ist das jetzt her.

Wenn zwei Männer ihrer Altersgruppe bei Selters und Kaffee und wohl auch bei einem Glas Rotwein zusammenhocken und über alte und neue Zeiten plaudern, dann wäre es ganz normal: dass sich manches rosa verklärt und in mildem Licht erscheint. Nicht so bei Diestel und Lafontaine. Der ostdeutsche Christdemokrat und der westdeutsche Linke haben sich ihre Pfiffigkeit, ihre Formulierungsfreude, ihre Angriffslust und ihre Unbekümmertheit bewahrt.

Aufs Maul gefallen sind die beiden nicht. Der aus Torgau stammende Journalist Frank Schumann hatte jedenfalls eine gute Idee, als er Diestel und Lafontaine zum Streitgespräch aufforderte. Langweilig wird es nie, sondern es ist anregend und bisweilen lehrreich. Während Lafontaine mit prominenten Gesprächspartnern aufwarten kann, seine Erfahrungen spielen lässt und Gelehrte von Thukydides über Albert Camus bis Egon Bahr zitiert, beeindruckt Diestel mit erfrischend unkonventionellen und überraschenden Gedankengängen, die nicht unbedingt ins gewohnte Politikschema passen.

"Wenn wir nicht die Allianz für Deutschland geschlossen hätten, hätte die SPD gewonnen", meint Diestel rückblickend. Auch Lafontaine ist sicher, dass Kohl "keine dritte Amtszeit erhalten hätte, wäre nicht die deutsche Einheit dazwischengekommen". Entgegengesetzter Ansichten sind sie aber, wenn es um die DDR und die Einheit geht. Während Diestel den DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker als "tragische Figur" mit "Lebensirrtümern" und als "Hassfigur" einstuft und für die Bilanz der Vereinigung "dankbar und zufrieden" ist, mag Lafontaine sich mit diesen Einschätzungen nicht abfinden. "Naja, ich sehe das ein wenig anders", sagt er. Für ihn ist die zum "Hassobjekt" gemachte DDR "kein abgeschlossenes Kapitel, sondern auch fortgesetzte Forderung nach Überwindung der Defizite unserer Gesellschaft".

Helmut Lölhöffel war DDR-Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung". Er lebt in Berlin.

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Quelle:
SZ vom 06.10.2015
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