Süddeutsche Zeitung

Debatte im Stuttgarter Landtag:"Ausflug nach Absurdistan"

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Empört reagieren die Parteien im Stuttgarter Landtag auf einen Antrag der beiden AfD-Fraktionen. Es geht um Minderheitenrechte und deren Missbrauch.

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

Milde gestimmt schlendert AfD-Chef Jörg Meuthen am Mittwoch durch die Flure des Landtags. Das Sommertheater seiner Partei scheint er glänzend verkraftet zu haben, sehr bald, sagt er mit einem Lächeln, werde die Wiedervereinigung der beiden AfD-Fraktionen im Parlament vollzogen sein. Im Plenum war Meuthen als Chef der "Alternative für Baden-Württemberg" (ABW) an diesem Tag bereits neben Heiner Merz gesessen, dem Vorsitzenden der Alt-AfD. Die Animositäten zwischen den beiden Lagern, die sich im Streit um den antisemitisch fabulierenden Parteikollegen Gedeon getrennt hatten, spielen offenbar keine Rolle mehr. Man hat ja jetzt ein großes gemeinsames Thema: Linksextremismus.

Wie eine Trophäe präsentierten AfD und ABW ihren Antrag, einen Untersuchungsausschuss zum Thema Linksextremismus in Baden-Württemberg einzusetzen. Wie eine Botschaft an die Parteimitglieder in ganz Deutschland, die sich über das Stuttgarter Zerwürfnis erregt hatten: Seht her, es hat sich doch gelohnt.

Die AfD verfügt nicht über genügend Abgeordnete, um alleine so einen Ausschuss durchzupauken - aber laut Geschäftsordnung können dies zwei Fraktionen tun, unabhängig von der Anzahl ihrer Mitglieder. Darauf beharrt nun das AfD-ABW-Gebilde, obwohl man vor drei Wochen die Wiedervereinigung beschlossen und Meuthen zum Vorsitzenden gewählt hat. Wie erwartet verwiesen Grüne, CDU, SPD und FDP den AfD-ABW-Antrag am Mittwoch an den Ständigen Ausschuss, der ihn wohl wegen des Missbrauchs von Minderheitenrechten ablehnen wird. Im Eilverfahren änderten sie zudem das entsprechende Gesetz; es dürfen explizit nur noch zwei Fraktionen, die aus Abgeordneten verschiedener Parteien bestehen, einen Untersuchungsausschuss einsetzen. Eine Klarstellung im Geiste des alten Gesetzes, argumentierten Sprecher der Alt-Parteien. Eine Lex AfD, ein Anschlag auf die Minderheitenrechte durch die "Kartellparteien", schimpfte das AfD-ABW-Lager.

"Kartellparteien", sagte Jörg Meuthen hinterher mit einigem Stolz: Den Begriff habe er selbst erfunden. Der Karlsruher Wirtschaftsprofessor gilt als bürgerliches Aushängeschild der AfD. Er kann bei Bedarf aber auch grob werden. Beim Bundesparteitag Anfang Mai erntete er Beifallsstürme für seine Attacke auf das "links-rot-grün-versiffte Achtundsechziger-Deutschland". Am Mittwoch überließ er die Grobheiten seiner Parteikollegin Christina Baum. Die wird in den eigenen Reihen auch "Genozid-Tina" genannt, weil sie den Grünen einen "schleichenden Genozid am deutschen Volk" vorwirft. In dem Sinne ging sie auch am Mittwoch zu Werke. Linksextreme würden, gefördert von den Grünen, "Narrenfreiheit" genießen, die CDU schaue weg. Alle etablierten Parteien würden "außerparlamentarische Schlägertrupps schützen" und die Verantwortung tragen, sollte es bald "zu Toten kommen".

Die anderen Parteien hatten sich vorgenommen, sich im Ton zu mäßigen, aber es ging dann doch hoch her, wie immer beim Thema AfD. Uli Sckerl (Grüne) sprach von einem "Ausflug nach Absurdistan". Nicole Razavi (CDU) machte sich über die Fehler in den Anträgen von AfD/ABW lustig: "Das Rechtschreibprogramm Ihres Computers hätte leuchten müssen wie ein Weihnachtsbaum." Timm Kern (FDP) nannte die AfD eine "rechtsradikale Partei". "Wehret den Anfängen!", rief Sascha Binder (SPD). Alle vier beharrten darauf, man sträube sich nicht dagegen, die linksextreme Szene unter die Lupe zu nehmen - aber man dulde nicht, dass der Untersuchungsausschuss, "das schärfste Schwert der Opposition", im Parlament missbräuchlich genutzt wird.

Jörg Meuthen ließ hinterher erkennen, dass er die Skepsis der "Kartellparteien" gegenüber dem Vorgehen der AfD durchaus nachvollziehen könne. Aber gebremst hat er seine Truppen nicht. Viele AfD-Leute fühlen sich verfolgt von der Antifa, Meuthen selbst wurde kürzlich zum Objekt eines Tortenwurfs. Um den Untersuchungsausschuss durchzusetzen, will die wiedervereinigte AfD notfalls vor das Landesverfassungsgericht ziehen, Jörg Meuthen an der Spitze.

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SZ vom 29.09.2016
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