Süddeutsche Zeitung

Coronavirus in Russland:Moskau kapselt sich ein

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Von Silke Bigalke, Moskau

Bisher standen Moskaus Behörden vor dem Dilemma, dass sie zwar abschrecken wollten; schließlich sollten sich die Einwohner an die Ausgangssperre halten. Andererseits sollte es nicht so aussehen, als wachse Moskau die Corona-Krise über den Kopf. Doch nun spitzt sich die Lage zu, daran lässt Bürgermeister Sergej Sobjanin keinen Zweifel.

Bei der Zahl der Infizierten sei man nicht auf dem Gipfel angekommen, sagte er, "eher am Fuße dieses Gipfels, nicht einmal in der Mitte". Am Montag räumte auch Präsident Wladimir Putin ein, dass sich die Lage im Land verschlechtere. Die nächsten Wochen würden entscheidend, sagte der Kremlchef bei einem Arbeitstreffen.

Die Regeln für die Selbstisolation werden von Mittwoch an verschärft. Dann müssen alle Moskauer, die mit dem Auto, Bus oder Taxi irgendwo hinfahren wollen, dies vorher bei der Stadt anmelden. Erlaubt sind Fahrten zum Arzt, Supermarkt oder zum Arbeitsplatz, falls man dort unentbehrlich ist. In einem zweiten Schritt kann dieses Digitalpass-System auf Fußwege ausgeweitet werden. Schon jetzt darf man nur mit triftigem Grund vor die Tür, weil man den Müll rausbringen, einkaufen oder den Hund ums Haus führen muss.

Täglich müssen 1300 Bürger mit Lungenentzündung in die Klinik

Für das neue System müssen sich die Moskauer bei den Behörden registrieren. Für jeden Weg nach draußen erhalten sie einen Code per Mail oder SMS. Die Polizei kann kontrollieren, wie lange der Digitalpass gültig ist und wer ihn beantragt hat. Bereits am Montag stellten Einwohner etwa 900 000 solcher Anträge, die Internetseite der Stadt war zeitweise überlastet.

Die Ausgangssperre allein reicht laut Sobjanin nicht mehr aus. Die Zahl der Schwerkranken mit Lungenentzündung steige schnell. Täglich würden nun 1300 Patienten in Moskauer Kliniken eingeliefert, zuvor waren es 500 am Tag. Inzwischen liegt die offizielle Zahl der Erkrankten bei mehr als 18 000, davon allein 11 500 in Moskau. Dort warnen die Behörden nun vor Überlastung: Die Krankenhäuser und Rettungsdienste arbeiteten "an der Grenze", sagte Moskaus stellvertretende Bürgermeisterin Anastassija Rakowa am Freitag.

Vergangene Woche kursierte ein Video im Internet, das eine schier endlose Schlange wartender Rettungswagen zeigte. Sie standen vor dem Eingang eines Moskauer Krankenhauses im Stau, laut Kremlkritiker Alexej Nawalny bis zu neun Stunden lang. Bisher nehmen 25 Kliniken Covid-19-Patienten auf - wenig für eine Stadt mit 12,5 Millionen Einwohnern. Auch aus manchen Regionen kommen beunruhigende Meldungen: Ein Krankenhaus in Ufa wurde unter Quarantäne gestellt, nachdem dort 170 Menschen - Patienten und Personal - positiv getestet worden waren. In Syktywkar, Hauptstadt der dünn besiedelten nordrussischen Republik Komi, wurden sechs Krankenhäuser isoliert.

In Moskau wird nun stärker kontrolliert, wer von außen in die Stadt kommt. Umgekehrt sind die Moskauer außerhalb der Hauptstadt nicht mehr so gern gesehen: In einigen Regionen müssen sie nun zwei Wochen in Quarantäne, wenn sie zu Besuch kommen.

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Quelle:
SZ vom 14.04.2020
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