Süddeutsche Zeitung

Corona in Deutschland:Krank am Krankenbett

Lesezeit: 3 Min.

Eigentlich sind sie da, um andere zu versorgen, nun stecken sich immer mehr Pflegekräfte selbst mit Covid-19 an. Weil Personal fehlt, müssen auch infizierte Mitarbeiter auf die Stationen.

Von Christina Berndt

Die zweite Welle wächst gerade nicht mehr, aber gebrochen ist sie nicht. Die Zahl der Corona-Neuinfektionen habe unter den Maßnahmen des Wellenbrecher-Lockdowns ein Plateau erreicht, sagte der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, Ende der Woche und nannte dies explizit eine gute Nachricht. Dennoch gebe es weiterhin zu viele Neuinfektionen.

Diese haben mittlerweile mit hoher Inzidenz das ganze Land und alle Teile der Bevölkerung erfasst. Dabei bereitet neben den besonders gefährdeten Hochbetagten derzeit eine weitere Gruppe Politikern und Gesundheitsschützern Sorgen: Zunehmend sind auch Ärzte und Pflegekräfte von Quarantäne und Infektionen betroffen. Je mehr Infizierte es aber ausgerechnet unter jenen Menschen gibt, die Covid-19-Kranke behandeln sollen, desto größer wird das Problem. Das Gesundheitssystem sei vor große Herausforderungen gestellt, sagte Ute Rexroth, Leiterin des Lagezentrums am RKI. "Wenn Ärzte und Pfleger ausfallen, wird die Situation in den Krankenhäusern noch deutlich verschärft."

In den zurückliegenden Wochen hat sich die Zahl des Sars-CoV-2-infizierten Personals in deutschen Krankenhäusern und Praxen mehr als vervierfacht. Mitte Oktober gab es in der Statistik des RKI noch knapp 600 Infizierte, die einer Tätigkeit in einer solchen Einrichtung nachgingen, mittlerweile sind es ungefähr 2700. Insgesamt haben sich im Verlauf der Pandemie mehr als 25 000 Ärzte und Pflegekräfte mit Corona infiziert.

Die Statistiken geben allerdings keine Auskunft darüber, ob sie sich auf der Arbeit oder in ihrer Freizeit angesteckt haben. Auch sei die tatsächliche Zahl wahrscheinlich höher, teilt der Marburger Bund mit, denn bei mehr als der Hälfte der positiv Getesteten fehlten Angaben zur beruflichen Tätigkeit. Die Folgen für die Kliniken sind jedenfalls erheblich: Schon jetzt melde "fast die Hälfte der Kliniken eine eingeschränkte Verfügbarkeit", sagte RKI-Präsident Lothar Wieler Mitte November.

"Die Pflegenden nehmen sich als Kanonenfutter wahr"

In der angespannten Lage nehmen viele Kliniken offenbar kaum noch Rücksicht darauf, ob ihre Angestellten ein potenzielles Covid-19-Risiko für Kollegen und Patienten sind. Vor allem Pflegekräfte werden zur Arbeit beordert, obwohl sie engen Kontakt mit Infizierten hatten oder gar selbst erkrankt sind.

"Das ist alles andere als ein wertschätzender Umgang mit Pflegenden", sagt Constanze Giese, Professorin für Ethik in der Pflege an der Katholischen Stiftungshochschule München, die zunehmend von solchen Fällen erfährt. "Die Pflegenden nehmen sich als Kanonenfutter wahr, wenn sie fürchten müssen, mit Corona-positiven Kolleginnen arbeiten zu sollen."

Auch Michael Isfort vom Deutschen Institut für angewandte Pflegeforschung in Köln findet deutliche Worte: "Hier wird eine ganze Berufsgruppe verheizt."

Wie viele Ärzte und Pflegekräfte trotz Corona-Infektion oder Kontakt mit einem Infizierten weiterarbeiten, weiß derzeit niemand. "Es gibt keinen systematischen Überblick, der wird einfach nicht erhoben", beklagt Isfort. Er schätzt, dass derzeit etwa jedes zehnte Krankenhaus Personal einbestellt, das sich eigentlich in Isolation oder Quarantäne befinden sollte. "Manche machen eine sogenannte Pendelquarantäne", sagt er: Sie gehen zur Arbeit, aber in ihrer Freizeit isolieren sie sich. "Das ist eine abenteuerliche Situation."

Tatsächlich sieht das RKI einen Einsatz von Kontaktpersonen mit Covid-19-Verdacht und sogar von infizierten Pflegekräften vor - allerdings nur bei "relevantem Personalmangel" und "in absoluten Ausnahmefällen" - und wenn "andere Maßnahmen zur Sicherstellung einer angemessenen Personalbesetzung ausgeschöpft sind".

Dazu gehöre das Absagen verschiebbarer Behandlungen und eine Verlegung der Patienten. In einer solchen Notsituation ist es laut RKI auch denkbar, dass sich infiziertes Personal um Patienten kümmert, aber nur um solche mit Covid-19.

Infiziertes Personal kümmert sich nicht nur um Covid-19-Patienten

Ob eine Notsituation vorliegt, werde allerdings nicht überprüft, sagt Michael Isfort: "Was unter Personalnot verstanden wird, ist völlig ungeklärt. Personalnot ist in der Pflege ja quasi der Normalzustand." Auch kontrolliere niemand, ob die Klinik wirklich alle nicht zwingenden Eingriffe verschoben und Patienten verlegt hat.

Die bayerische Staatsregierung etwa antwortete auf eine Anfrage der SPD nur vage: "Die möglichen Anpassungen vor Ort sollten möglichst gemeinsam mit dem Gesundheitsamt und unter Berücksichtigung der angestrebten Schutzziele vorgenommen werden."

Noch dazu wird infiziertes Personal keineswegs nur zur Pflege von Covid-19-Patienten eingesetzt. "Mir wurde zum Beispiel der Einsatz in der Notaufnahme berichtet", sagt die Moraltheologin Constanze Giese. Ärzte und Pflegende erzählten der SZ zudem von Einsätzen auf Non-Covid-Intensivstationen, in der Kardiologie und Neonatologie.

In einer medizinischen Notsituation mag der Einsatz infizierten Personals das kleinere Übel sein, so Giese. Die Voraussetzungen für einen solchen Notbetrieb und auch die Art des Notbetriebs müssten aber besser kontrolliert werden. Auch würden einheitliche Schutz- und Teststrategien benötigt, um Ärzte und Pflegekräfte besser vor Infektionen zu bewahren. Denn regelmäßige und engmaschige Corona-Tests des Personals finden noch immer nicht an allen Kliniken statt.

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