Süddeutsche Zeitung

Corona-Neuinfektionen:Nur keine Panik

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Zwei Landkreise überschreiten die erlaubte Schwelle für Neuinfektionen. Dort gibt man sich gelassen - man kenne ja die Ansteckungsherde.

Von Christoph Koopmann, München

Die Mail-Postfächer im Landratsamt verraten viel darüber, was momentan los ist im Kreis Greiz. "Wir werden überschwemmt mit Nachrichten, in denen man uns Totalversagen vorwirft", heißt es im Landratsamt. In dem thüringischen Kreis wurden in den vergangenen sieben Tagen - Stand 8. Mai, null Uhr - 75 Neuinfektionen mit Covid-19 registriert, gerechnet auf 100 000 Einwohner. Greiz liegt bundesweit mit großem Abstand vorn in dieser Statistik - und weit über der Schwelle von 50 Fällen, von der an wieder schärfere Beschränkungen gelten sollen.

Doch an eine Rückkehr in den Lockdown denkt man nicht. "Der Landkreis wird sich nicht in Quarantäne begeben", hat Landrätin Martina Schweinsburg (CDU) gesagt. Im Gegenteil, nächste Woche soll es Lockerungen geben.

Die hohe Fallzahl sei auf Massentests in sechs Pflegeheimen zurückzuführen, erklärte Schweinsburg. Von 855 Tests unter Bewohnern und Mitarbeitern fielen 47 positiv aus. Außerhalb der Heime habe man seit dem 1. Mai nur 18 Neuinfektionen registriert, teilte der Kreis mit. Die meisten Fälle seien zudem im südlichen Landkreis aufgetreten, im nördlichen Teil fast keine. "Wir verstehen, dass die Leute Fragen und Sorgen haben", sagt eine Sprecherin des Landratsamts. Aber bei genauer Betrachtung gebe es keinen Grund, das öffentliche Leben im ganzen Kreis wieder herunterzufahren.

"Der Westfale ist ja ruhig und besonnen", heißt es im Landratsamt

Deutschlandweit gab es am Freitag nur einen weiteren Kreis, der die Schwelle von 50 neuen Corona-Fällen überschritt: Coesfeld in Nordrhein-Westfalen mit knapp 66 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner. Am Freitagnachmittag teilte NRWs Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) mit, dass die von Montag an geplanten Lockerungen im Kreis Coesfeld deshalb um eine Woche aufgeschoben werden. Ähnlich wie in Greiz ist der Ansteckungsherd bekannt und eingrenzbar: eine Großschlachterei. Der Betrieb wird vorerst geschlossen, die Mitarbeiter aller Schlachthöfe in NRW sollen getestet werden. Allein am Donnerstag hatte man in Coesfeld positive Tests bei knapp 90 Mitarbeitern registriert. "Das Gesundheitsamt hat schnell und konsequent reagiert", sagt Dietrich Aden, Sprecher des Landratsamts. Am Donnerstag etwa habe man 200 Tests durchgeführt. Das erkläre auch die hohe Fallzahl. "Wir hätten auch sagen können, wir testen kaum, um in der Statistik gut dazustehen", sagt Aden. "Aber das ist nicht Sinn der Sache."

Bislang gehe man nicht davon aus, dass sich der Ausbruch über die Mitarbeiter und deren Kontaktpersonen hinaus erstreckt. "Über weitere Maßnahmen stimmen wir uns mit der Landesregierung ab", sagt Aden. Die Leute hätten jedenfalls keine Panik. "Der Westfale ist ja ruhig und besonnen."

Ähnlich gelassen sieht man es im Kreis Steinburg in Schleswig-Holstein. 37 beträgt dort nach Angaben des Robert-Koch-Instituts die sogenannte Sieben-Tages-Inzidenz; so der Fachbegriff für die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen in den zurückliegenden sieben Tagen, pro 100 000 Einwohner. Das ist die dritthöchste in Deutschland. Allein 77 aktuell Erkrankte arbeiten nach Angaben des Landratsamts in einem Schlachthof. Die Werkvertragsarbeiter, vorwiegend Rumänen, sind in ihrer Gemeinschaftsunterkunft in Quarantäne.

Es gebe regelmäßige Gesundheitschecks und Corona-Tests für die Bewohner, teilt das Landratsamt mit. Weder im Ort Kellinghusen, wo die Betroffenen untergebracht sind, noch anderswo im Kreis sei ein flächendeckender Ausbruch bekannt. "Wir gehen nicht davon aus, dass wir alles streng abriegeln müssen", sagt Sonja Wilke, die Sprecherin der Behörde.

Prognosen über den weiteren Verlauf will niemand abgeben

Am Freitagabend ordnete das Gesundheitsministerium in Kiel an, die Belegschaften aller Schlachtbetriebe in Schleswig-Holstein zu testen. In dem Schlachthof in Bad Bramstedt im Steinburger Nachbarkreis Segeberg waren insgesamt 109 Beschäftigte positiv getestet worden. Im Zollernalbkreis in Baden-Württemberg macht man sich ernsthafte Gedanken über Maßnahmen für den Fall, dass die Lage sich verschlechtert. Am Freitag lag der Kreis bei 37 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner in sieben Tagen. Hier sind die Ansteckungen, im Gegensatz zu den anderen stark betroffenen Gegenden, jedoch weit verteilt. Was die große Zahl registrierter Fälle teilweise erklären könnte: Von Anfang an habe man überdurchschnittlich viel getestet, sagt Landrat Günther-Martin Pauli (CDU). "Diese Strategie setzen wir fort." Prognosen über den weiteren Verlauf aber will keiner abgeben.

Die Lage ändere sich schließlich jeden Tag. Genau aus diesem Grund hält man die Schwelle von 50 Neuinfektionen in Rosenheim nicht für sonderlich aussagekräftig. Noch am Mittwoch war für die Stadt ein Wert von knapp 52 angegeben worden - am Freitag lag man bloß noch bei 22. Die Erklärung: In Rosenheim hätten sich die Fälle auf drei Asylbewerberunterkünfte konzentriert, sagt Stadtsprecher Christian Schwalm. Die meisten Tests dort seien nun eine Woche her, sodass sie nicht mehr in die Statistik einflössen. Solche Schwankungen könnten häufiger vorkommen, sagt Schwalm, gerade wenn es einzelne, stark betroffene Infektionsherde gebe. "Es ergibt aber wenig Sinn, an einem Tag mit einem Wert über 50 alles abzuriegeln und am nächsten wieder aufzusperren, wenn die Zahl gesunken ist", sagt er.

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SZ vom 09.05.2020
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