Süddeutsche Zeitung

Masken-Affäre:Die Goldgräberstimmung wird zur Gefahr

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Die Regierung hat zugelassen, dass die Pandemiebekämpfung sich mit politisch-ökonomischen Interessen vermengt. Das rächt sich nun - alle wollen im Boot sitzen, wenn der Staat Geld verteilt.

Kommentar von Cerstin Gammelin, Berlin

Die Härte, mit der die Spitzen von CDU und CSU innerparteiliche Aufräumarbeiten bei Beschaffungsdeals jedweder Art angekündigt haben, lässt darauf schließen, dass weitere Delinquenten auftauchen könnten. Dagegen konsequent vorzugehen, ist nach den Fällen Nüßlein und Löbel so richtig wie überfällig. Aber keinesfalls genug. Die Abgeordneten sind nur Teil eines grundsätzlichen Problems. Und das besteht darin, dass die von der Koalition praktizierte Beschaffungspolitik eine regelrechte Goldgräberstimmung ausgelöst hat.

Die große Koalition hat zwar die Pandemie zu einer außergewöhnlichen Krise erklärt, es aber versäumt, bei deren Bekämpfung außergewöhnliche Mittel einzusetzen. Eines der Wichtigsten wäre gewesen, alles, was man zur Eindämmung des Virus braucht, zum Selbstkostenpreis produzieren zu lassen und ohne kostspielige Umwege über Klientelgruppen wie kassenärztliche Vereinigungen, Apotheker und Ärzte an den Bürger zu bringen.

Konnte man nicht zumindest in der Pandemie die übliche Klientelpolitik ausblenden?

Die Bundesregierung aber hat zugelassen, dass sich politisch-ökonomische Interessen von Abgeordneten und gesundheitspolitisches Handeln - die Beschaffung dringend benötigter Güter wie Masken und Tests - zu einem Gemisch verquirlen konnten, in dem die politische Glaubwürdigkeit der Regierenden unterzugehen droht.

Es ist der Bundesregierung nicht vorzuwerfen, dass sie alle finanziellen Schleusen geöffnet hat, um die Folgen der Pandemie einzudämmen. Sehr wohl vorzuwerfen ist ihr aber, dass sie es nicht geschafft hat, wenigstens in der Not die speziellen Interessen einzelner Berufs- und Wirtschaftszweige auszublenden.

Die Maskenbeschaffung ist ein Paradebeispiel des Versagens. Man versteht die Zwickmühle, in der Gesundheitsminister Jens Spahn steckte, als Chefärzte ihn wissen ließen, sie würden den Betrieb einstellen, schaffe der Bund nicht sofort Masken heran. Aber deshalb knifflige Ausschreibungen wie das Open-House-Verfahren zu wählen, die jedem Unternehmen bei einer Mindestliefermenge die Abnahme garantiert, macht nicht nur Masken doppelt so teuer. Es bringt auch jede Menge Ärger ein, weil beispielsweise Zahlungsfristen so knapp bemessen waren, dass in dieser Zeit die Qualität der Ware nicht geprüft werden konnte.

Interessengruppen verdienen mit, die Allgemeinheit zahlt

Die Klientelpolitik hat auch die Goldgräberstimmung anderswo geschürt, etwa bei kassenärztlichen Vereinigungen, Apothekern und Ärzten. Alle wollen im Boot sitzen, wenn der Staat Pandemie-Milliarden verteilt. Bisher hat es ja auch gut geklappt. Anders als in anderen europäischen Staaten durften hierzulande Tests nur von der Apotheke an medizinisches Fachpersonal verkauft werden. Die Gewinnspannen für die Tester waren auskömmlich. Auch an den Schnelltests lässt sich gut verdienen. Vorläufigen Kalkulationen zufolge wird der Staat 21 Millionen Euro pro eine Million Tests bezahlen müssen.

Die Mentalität ist weit verbreitet, man denke an den Autobauer Daimler, der auch dank Kurzarbeitergeld, E-Auto-Prämie und Mehrwertsteuersenkung einen Rekordgewinn eingefahren hat. Man weiß nicht genau, was mehr verwundert. Dass es keinen Aufschrei gegen dieses Handaufhalten gibt. Dass es Unternehmen wagen, sich von der Allgemeinheit derart bezuschussen zu lassen. Oder dass der Bund dies erlaubt.

Um es klar zu sagen: Es ist richtig, dass geholfen wird. Aber es ist falsch, dass in der pandemischen Notlage einige Interessengruppen gut mitverdienen - und die Allgemeinheit später wird zahlen müssen.

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