Süddeutsche Zeitung

Corona-Krise:"Eine demokratische Zumutung"

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Bundeskanzlerin Merkel verteidigt ihren Widerstand gegen schnelle Lockerungen und mahnt zu Geduld. Europäischen Corona-Bonds erteilt sie auf einem EU-Videogipfel erneut eine Absage.

Von Daniel Brössler, Berlin

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat im Bundestag Verständnis für Unmut über Einschränkungen im privaten und öffentlichen Leben geäußert, zugleich aber eindringlich vor einer "zu forschen" Lockerung der Maßnahmen im Kampf gegen die Corona-Pandemie gewarnt. "Niemand hört es gerne, aber es ist die Wahrheit: Wir leben nicht in der Endphase der Pandemie, sondern immer noch an ihrem Anfang. Wir werden noch lange mit diesem Virus leben müssen", sagte Merkel. Zugleich betonte sie: "Diese Pandemie ist eine demokratische Zumutung." Geprägt war Merkels Regierungserklärung erkennbar vom Streit über ihre Warnung vor "Öffnungsdiskussionsorgien".

Die Kanzlerin bekannte sich zu den von Bund und Ländern gefassten Beschlüssen etwa zur Wiederöffnung bestimmter Geschäfte und Dienstleistungsbetriebe, verteidigte aber ihren Widerstand gegen aus ihrer Sicht zu weit gehende Lockerungen. Sie sei überzeugt, dass "größtmögliche Ausdauer und Disziplin" zu Beginn der Pandemie es ermöglichen werden, das wirtschaftliche, soziale und öffentliche Leben schneller und nachhaltiger zu normalisieren. Ein Fehler sei es, sich "vor dem Hintergrund ermutigender Infektionszahlen zu schnell in falscher Sicherheit wiegen". Konkret ging Merkel auf die Kritik an einzelnen Beschlüssen nicht ein.

Die herrschende Situation sei "nur akzeptabel und erträglich, wenn die Gründe für die Einschränkungen transparent und nachvollziehbar sind, wenn Kritik und Widerspruch nicht nur erlaubt, sondern eingefordert und angehört werden", räumte Merkel ein. Das müsse "wechselseitig" gelten. "Unsere parlamentarische Demokratie ist stark", versicherte die Kanzlerin. Sie sei "leistungsfähig und in Krisenzeiten äußerst schnell". AfD-Fraktionschef Alexander Gauland warf Merkel im Bundestag eine "Basta-Mentalität" vor. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner sprach vom "Ende der großen Einmütigkeit" und betonte, es müsse über die Verhältnismäßigkeit einzelner Maßnahmen diskutiert werden.

"Unser Gesundheitssystem hält der Bewährungsprobe bisher stand", sagte Merkel. "Durch die Strenge mit uns selbst" sei es gelungen, die Ausbreitung des Virus in Deutschland und Europa zu verlangsamen, betonte sie. Das sei aber nur mit Hilfe der Bürgerinnen und Bürger möglich geworden, die "mit Herz und Vernunft etwas für ihre Mitmenschen tun". Das mache sie "unendlich dankbar". Besonders belaste sie, wie die Menschen in Pflege- oder Altenheimen in dieser Krise weitgehend isoliert leben müssten. Es sei "grausam", wenn außer der engagierten Pflegekraft niemand da sein könne. "Vergessen wir nie diese Menschen", forderte Merkel. Gerade die 80- bis 90-Jährigen hätten den Wohlstand des Landes begründet.

Am Abend kündigte Merkel an, dass sie und die Ministerpräsidenten voraussichtlich erst am 6. Mai über weitere Schritte entscheiden werden.

Mit einem weiteren milliardenschweren Hilfspaket will die Koalition die Krisenfolgen in Deutschland lindern. Darauf verständigten sich die Koalitionsspitzen in der Nacht zum Donnerstag. So soll das Kurzarbeitergeld auf bis zu 87 Prozent angehoben und der Mehrwertsteuersatz in der Gastronomie vorübergehend auf sieben Prozent gesenkt werden.

Die EU-Staats- und Regierungschefs stimmten am Donnerstagabend bei einem Videogipfel dem Unterstützungspaket zu, auf das sich die Finanzminister vor zwei Wochen geeinigt hatten. Es umfasst bis zu 340 Milliarden Euro zinsgünstige Darlehen an Mitgliedstaaten; daneben sollen Bürgschaften der Europäischen Investitionsbank 200 Milliarden Euro zusätzliche Kredite an Mittelständler ermöglichen. Diese Förderprogramme sollen bis Anfang Juni einsatzbereit sein. Zudem beauftragte der Gipfel der EU-Kommission, einen Vorschlag für ein zweites Paket zu erarbeiten. Dieses Programm soll klammen Mitgliedstaaten helfen, nach der Pandemie die Konjunktur wieder anzukurbeln, und es soll mit dem neuen EU-Haushalt für die sieben Jahre von 2021 bis 2027 verknüpft sein. Die Regierungen konnten sich bislang nicht auf diesen mehrjährigen Finanzrahmen einigen. Viele Details des zweiten Unterstützungspakets sind umstritten zwischen den Staaten, etwa die Größe oder Finanzierung. Merkel bekräftigte nach der Videoschalte ihre Ablehnung sogenannter Corona-Anleihen, also gemeinsamer europäischer Schuldpapiere, um den Hilfstopf zu füllen. "Es geht nicht, dass sozusagen die Schulden vergemeinschaftet werden", sagte sie. Im Bundestag hatte sie allerdings am Morgen den anderen Mitgliedstaaten ihre Solidarität versichert: "Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft."

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SZ vom 24.04.2020
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