Süddeutsche Zeitung

Vakzine:Die Sache mit dem Kochsalz

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Selbst kleinste Mängel und Lieferengpässe können die Impfstoffproduktion komplett lahmlegen.

Von Hanno Charisius

Impfstoffe herzustellen, ist eine der heikleren Prozeduren in der Biotechnologie. Arzneimittel allgemein sind anspruchsvolle Produkte, bei denen es nicht nur auf peinlichste Sauberkeit ankommt, sondern auch auf Präzision bis ins letzte Molekül. In der Impfstoffproduktion gibt es ebenfalls keine Kompromisse und keine Improvisation. Wenn etwas schiefläuft oder ein Rohstoff fehlt, steht die Fabrik still. Selbst wenn es so etwas Simples ist wie Kochsalzlösung. "Wir sind selbst davon abhängig, dass die Zulieferer uns Materialien liefern", sagte der Chef des Impfstoffherstellers Biontech Uğur Şahin in den ARD-"Tagesthemen". "Wir haben auch keine vollen Lagerstätten. Alles, was wir produzieren, wird de facto sofort ausgeliefert." Wenn es zu einer Verzögerung komme wegen eines Problems, schlage das sofort durch.

Bei der Kochsalzlösung sagt schon der Name alles: Es ist nichts anderes als Salz gelöst in Wasser. Wenn man es aber nicht zum Nudelkochen braucht, sondern um damit Impfstoffe für die Injektion aufzubereiten, dann kann man nicht irgendein Salz und Leitungswasser nehmen. Und man muss sich auf das Produkt eines Herstellers festlegen, das dann Bestandteil der Zulassung des fertigen Präparats wird. "Alle Ausgangsmaterialien für einen Impfstoff sind exakt festgelegt und streng kontrolliert", sagt der Virologe Gerd Sutter von der Ludwig-Maximilians-Universität München, der an der Entwicklung eines Impfstoffs gegen Sars-CoV-2 beteiligt ist. Sogar bei Kochsalzlösung könnte es leicht Verunreinigungen geben. "Die Kontrolle ist fundamental für die Arzneimittelsicherheit."

Kochsalzlösung von einem anderen Hersteller in den Produktionsprozess zu schleusen, ist noch vergleichsweise einfach, das Produkt lässt sich recht einfach kontrollieren. Wenn aber plötzlich jene sogenannten Lipid-Nanopartikel knapp werden auf dem Weltmarkt, in die manche Impfstoffe gehüllt werden müssen, dann kann das die Produktion aufhalten. Auf Nanopartikel anderer Hersteller auszuweichen, ist zwar möglich, doch muss dann wieder nachgewiesen werden, dass sie genauso gut funktionieren wie das ursprüngliche Verpackungsmaterial und Sicherheit und Wirksamkeit des Impfstoffs nicht darunter leiden.

Während des Impfgipfels am Montag wurden weitere Schwierigkeiten der Impfstoffproduktion und -verteilung offenkundig. Es fehlt nicht nur an raffinierten Nanopartikeln, selbst einfache Dinge wie Ampullen und Dichtstopfen sind Mangelware. Auch deswegen kündigte Kanzlerin Angela Merkel an, dass unter Federführung des Wirtschaftsministeriums eine Plattform entwickelt werden soll, um die Lieferketten der Impfstoffproduzenten zu stützen. Der Mangel an Spritzen für die eigentliche Injektion der Impfstoffe solle ebenfalls behoben werden. Alle Möglichkeiten müssten ausgelotet werden, "um wirklich auch noch ein Mehr an Produktion möglich zu machen", sagte Merkel. Die Regierung habe bisher zu wenig auf die Verfügbarkeit von Vorprodukten geachtet, mit denen die Produktion in Deutschland und Europa vielleicht hätte beschleunigt werden können. Auf solche möglichen Engpässe hatten Wissenschaftler und Impfstoffentwickler bereits im Frühjahr hingewiesen, als die Tests der ersten Impfstoffe an Menschen begannen.

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