Süddeutsche Zeitung

COP 27:Experten kritisieren Ergebnisse des Klimagipfels

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"Die 1,5-Grad-Marke werden wir auf jeden Fall reißen": Nach der Weltklimakonferenz sprechen Fachleute von verpassten Chancen. Aber auch die Bundesminister für Umwelt und Klima finden das Ergebnis "extrem bitter" und sind "nicht wirklich zufrieden".

Der Klimaforscher Mojib Latif wertet die Ergebnisse der Weltklimakonferenz COP27 im ägyptischen Scharm el-Scheich als Stillstand. "Wir kommen einfach nicht voran", sagte Latif im Deutschlandfunk und stellte das Format der UN-Gipfel generell infrage. "Die 1,5-Grad-Marke werden wir auf jeden Fall reißen", so der Kieler Wissenschaftler. Im Moment sei die Welt auf einem Kurs von 2,5 Grad Celsius Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter. "Ich würde sogar eher sagen: drei Grad", fügte er hinzu.

Nach zweiwöchigen Verhandlungen ist der Klimagipfel am Wochenende zu Ende gegangen. Neben einem Ausgleichsfonds für arme Staaten beschlossen die Delegierten ein Arbeitsprogramm zur schnelleren Minderung der Treibhausgase, das aber hinter den Erwartungen europäischer Länder zurückblieb. Ein klares Bekenntnis zum Ausstieg aus fossilen Energien scheiterte am Widerstand von Ländern wie Saudi-Arabien. Latif sieht vor allem die G-20-Staaten in der Pflicht, ihren CO₂-Ausstoß zu drosseln. Auf diese Länder entfielen weltweit derzeit rund 80 Prozent der Emissionen.

Zur Rolle Chinas bei den Verhandlungen sagte Latif, die Volksrepublik habe überhaupt kein Interesse daran, ihre Emissionen zu senken. Einer "Allianz der Willigen", in denen der Wissenschaftler sich neben der EU die USA und Kanada wünscht, bleibe daher nichts anders übrig, als die "dreckig gefertigten Produkte" aus China von ihren Märkten fernzuhalten. Eine Möglichkeit dazu wären aus seiner Sicht Schutzzölle.

Mit seiner Kritik ist Latif nicht allein. Der Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie, Manfred Fischedick, bilanzierte die Klimakonferenz als "eine verpasste Chance". "Kommt es nicht kurzfristig zu einer Umkehr der Staatengemeinschaft, wird es schwierig bis unmöglich werden, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen", sagte er der Rheinischen Post. Dann werde es auch schwierig werden, die Folgen des Klimawandels in handhabbaren Grenzen zu halten.

Auch nach Einschätzung des Forschers Ottmar Edenhofer brachte die Klimakonferenz in Ägypten nur mäßige Ergebnisse. "In Scharm el-Scheich wurde ein Scheitern verhindert. Es war kein Durchbruch, und es war ein nur sehr, sehr mäßiger Erfolg für das Klima", sagte der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung im ZDF. Er plädierte dafür, den Fokus nicht zu sehr auf Klimakonferenzen zu legen. "Uns läuft die Zeit davon."

"Die Wissenschaft hat eine viel zu schwache Stimme in den Verhandlungen"

Nach Ansicht des Klimaforschers Johan Rockström muss die Wissenschaft im Ringen der Weltgemeinschaft gegen die Klimakrise mehr Gehör finden. Rockström ist ebenfalls Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Er sagte: "Die Wissenschaft hat eine viel zu schwache Stimme in den Verhandlungen der Klimakonferenzen." So sei vielen Diplomaten nicht klar, wann welche Klimafolgen in welchem Ausmaß zu erwarten seien.

"Die Entscheider brauchen vermutlich eher mehr Wissenschaft am Verhandlungstisch, nicht weniger", sagte Rockström. "Ich denke, dass wir den ganzen Prozess der Klimakonferenzen reformieren müssten, um gehaltvollere Ergebnisse in den Verhandlungen zu bekommen." Seine Vision: Die Verhandler der Staaten sollten anders als bisher tägliche Briefings zum aktuellen Forschungsstand zu Klimarisiken, Kipppunkten und anderen wichtigen Feldern bekommen und vor diesem Hintergrund die Maßnahmen und Ziele ihrer Staaten verteidigen müssen. Außerdem müsse in den Arbeitsgruppen ein engerer Austausch zwischen Verhandlern und Wissenschaftlern stattfinden.

Nicht einmal der Ausstieg aus allen fossilen Brennstoffen wird genannt

Dem Klimagipfel in Ägypten stellt der schwedische Forscher ein ungenügendes Zeugnis aus: "1,5 Grad ist auf dem Papier noch vorhanden", sagt er mit Blick auf das international vereinbarte Ziel, die Erderwärmung bei dieser Grenze zu stoppen und damit die katastrophalsten Folgen abzuwenden. Auch die Notwendigkeit, dafür den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 um 45 Prozent zurückzufahren, sei erwähnt - "aber mit keinem konkreten Plan, dies auch zu erreichen".

Die Beschlüsse, in denen nicht einmal der Ausstieg aus allen fossilen Brennstoffen genannt werde, gingen nicht über die Ergebnisse der vergangenen Klimakonferenz in Glasgow hinaus, was längst nicht ausreichend sei. Deutschland und die EU müssten nun versuchen, mit den USA und China zusammenzuarbeiten, um Fortschritte zu erzielen. Mit so vielen Ländern wie möglich um Einigungen zu ringen, wie es auf den Klimakonferenzen geschehe, sei zwar gut, aber eine Allianz der größten Verursacher von Treibhausgasen möglicherweise noch effizienter.

Unzufriedenheit herrscht auch in der Bundesregierung. Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) erklärte, das Ergebnis der Konferenz bleibe insgesamt "hinter dem Notwendigen zurück". Das sei "extrem bitter". Dass sich die Staatengemeinschaft auf einen Ausgleichsfonds für die ärmsten und verletzlichsten Länder geeinigt habe, sei allerdings ein wichtiger Schritt, um die Folgen der Klimakrise in Zukunft besser bewältigen zu können. Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, das Ergebnis könne "uns nicht wirklich zufrieden machen". Und Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) forderte in der Augsburger Allgemeinen, China müsse sich "als mächtige Volkswirtschaft mit dem größten CO₂-Ausstoß an der Bewältigung der Klimaschäden beteiligen".

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