Süddeutsche Zeitung

CDU: Multi-Kulti-Debatte:Die Rückkehr des Untoten

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Die Union reiht sich mit ihrer schrillen Rhetorik in der Integrationsdebatte bei Europas Populisten ein. Die Nachbarländer wanken zwischen Schadenfreude und Enttäuschung und fragen sich: Was reitet die Deutschen?

Cathrin Kahlweit

Im Ausland gibt es auf die Zuwanderungsdebatte in Deutschland zwei sehr verschiedene Reaktionen: schadenfrohe Genugtuung und kopfschüttelnde Enttäuschung.

Genugtuung herrscht da, wo Rechtspopulisten und Islamfeinde sich in demokratischen Parlamenten festkrallen und Regierungen aus Opportunismus ihre Einwanderer als ewig Fremde ansehen: Nun hat auch das verlässliche, rational agierende Deutschland eine schrille, eine undifferenzierte Ausländerdebatte. Nun rühre sich, so heißt es in Frankreich und in Holland, in Italien und Österreich, nicht nur das dumpfe, sondern auch das bürgerliche Milieu, nun sehe man auch in Deutschland, dass Multikulti nicht funktionieren könne. So mischt sich Schadenfreude in die Solidarität.

Die andere Reaktion ist Enttäuschung. Die New York Times stellte kürzlich fest, jetzt debattiere man in Deutschland wieder über jüdische Gene; und in europäischen Blättern wurde mit Häme vermerkt, es sei ja kein Wunder, dass einer wie Thilo Sarrazin in Deutschland sein Publikum habe. Allerdings hielt man diese Debatte für zeitlich begrenzt, für den Ausfluss eines medialen Coups, unterfüttert durch die Phalanx der Ewiggestrigen, die ab und an keuchend aus ihren Löchern kriechen.

Dankbar wurde allerorten registriert, dass sich die politische Elite in Berlin, allen voran die Kanzlerin, vor die Muslime stellte. Aber mit der Dankbarkeit ist es jetzt vorbei. Denn nun wird erkennbar, dass sich Teile der so rationalen, verlässlichen politischen Elite die ausländerfeindliche Bewegung zunutze machen wollen.

Deshalb macht sich etwa in den USA, Großbritannien oder Brüssel Befremden darüber breit, dass die zuletzt durchaus konstruktiv geführte Integrationsdebatte zur politischen Mobilisierung genutzt wird: Wie ein Untoter ist der Zuwanderungsstreit wieder da; er hat in Deutschland Anfang der neunziger Jahre zu brennenden Ayslbewerber-Unterkünften geführt; und, wie die Anfälle eines Quartalsxenophoben, sind auch die Thesen von der Überfremdung Deutschlands wieder da.

Nun ruft die Kanzlerin, Multikulti sei "absolut gescheitert", der CSU-Chef greint, man wolle "nicht zum Sozialamt für die ganze Welt werden", und sein Generalsekretär warnt gleich vor "ungezügelter Zuwanderung".

Was, fragen sich die kritischen Nachbarn, reitet die Deutschen diesmal? Schließlich steht keine aktuelle Wahl an, die Kanzlerin ist nicht akut von einem Putsch bedroht, und es gibt keine neue rechtsradikale Partei, die sich von der katastrophal geführten Integrationsdebatte nährt.

Der Tenor ist einhellig: Die Union suche auf diesem Wege dem Umfragetief zu entkommen; die plumpe Rhetorik sei "Berechnung", die Kanzlerin habe "abgeliefert", was die Rechte von ihr verlange. So einfach, so billig. Damit liegen die europäischen Kritiker richtig - und doch lenken viele von ihren eigenen Problemen ab. Sarkozy und Strache und Wilders lassen grüßen.

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Quelle:
SZ vom 19.10.2010
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