Süddeutsche Zeitung

Bundeswehr:Jammern im Wind

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Die "Gorch Fock" war der Stolz der Marine. Doch die Reparatur des Dreimasters gerät zum Skandal. Im Raum steht ein ungeheuerlicher Verdacht.

Von Mike Szymanski, Berlin

Als das Segelschulschiff Gorch Fock Ende 2015 zur Sanierung ins Trockendock geschleppt wurde, war es schon ein Wrack. Der Rumpf war verzogen. Allein in dem Jahr hatte der als Stolz der Marine bezeichnete Dreimaster zwei Kollisionen einstecken müssen. Einmal war das Schiff vom Schnellboot Frettchen bei einem Ablegemanöver gerammt worden. Ein paar Monate später stieß das Schiff beim Einlaufen in Wilhelmshaven gegen die Pier. Dass sich Rost durchs Schiff fraß, war mit dem bloßen Auge zu sehen, nur nicht das gesamte Ausmaß. Denn seit 1979 hatte niemand mehr eine Komplettuntersuchung der Gorch Fock vorgenommen, obwohl das vorgeschrieben war. Die Außenhaut aus Stahl war nach 57 Jahren auf See bedenklich dünn geworden. Bereits 2011 hatte der Havariebeauftragte festgestellt, dass "über einen Zeitraum von vielen Jahren eine nicht unwesentliche Gefährdung von Schiff und Besatzung" ausging. Aber dieser Bericht wurde nicht ausgewertet, bevor sich die Schiffbauer an die Reparaturen machten.

Gemessen daran, wirken die 9,6 Millionen Euro, die damals für die Arbeiten veranschlagt worden waren, erstaunlich gering: Es ging etwa um frische Farbe, um das Überholen von Masten und Segel sowie um Wartungsarbeiten an Getriebe, Motoren und Außenhaut. Heute weiß man es besser: Das Schiff war ein Fall für die Totalsanierung, die Kosten: 135 Millionen Euro.

Einst sollte die Sanierung zehn Millionen Euro kosten. Jetzt sind es 135 Millionen

Es ist Januar 2019, und das Schiff ist immer noch nicht fertig. Es ist ungewisser denn je, ob die Gorch Fock jemals wieder in See sticht. Der Bundesrechnungshof hat die Sanierung untersucht. Auf 39 Seiten skizzieren dessen Prüfer nicht nur ein Versagen auf allen Ebenen und über viele Jahre hinweg, es steht auch ein ungeheuerlicher Verdacht im Raum. Ist Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) von ihren Spitzenbeamten systematisch getäuscht worden, als es um die Frage ging, die Gorch Fock angesichts der ausufernden Kosten zu verschrotten oder tatsächlich noch einmal flottzumachen? Der Schlüsselsatz im Bericht lautet, entweder habe es "eine völlige Verkennung der Sachlage oder den unbedingten Willen zum Weiterbetrieb der Gorch Fock" gegeben. Gab es Kräfte in der Marine, die um jeden Preis verhindern wollen, dass die Gorch Fock ausgemustert wird? Dokumente über frühere Arbeiten waren so lückenhaft, dass 2015 nicht mehr nachvollziehbar gewesen sein soll, was bereits am Schiff gemacht worden war. Aber nach 17 Wochen im Dock sollte das Schiff schon wieder in See stechen. Als dieses Datum - samt der Kostenschätzung von 9,6 Millionen - genannt wurde, war aber noch nicht einmal die Schadensaufnahme am Schiff abgeschlossen. Diese sollte sich noch über zwei Jahre hinziehen. Mit jedem Raum, in dem die Arbeiter hinter die Verkleidung schauten, kamen weitere, böse Überraschungen ans Licht.

In Zahlen ausgedrückt: Im März 2016 stiegen die Kosten auf 12,2 Millionen Euro, im April waren es 16 Millionen, im Juni schon 22,1 Millionen, im August 33,5 Millionen, im September 64,5 Millionen Euro. Da stoppte der Projektleiter erstmals die Instandsetzung und bat beim Planungsamt der Bundeswehr, eine dem Ministerium nachgeordnete Behörde, um Klärung, wie es weitergehen solle. Bei dieser Gelegenheit brachte er auch das "Stoppen des Vorhabens" und damit das Ende der Gorch Fock als Option ins Gespräch. Im Ministerium wollte man jetzt auch Klarheit. Auf Leitungsebene sollten Alternativen durchgerechnet werden, darunter der Kauf eines vorhandenen Schiffes, ein Neubau, ein Ausweichen auf vorhandene Segelboote. Davon wurden jedoch fast alle wieder verworfen - am Ende lautete die Empfehlung in einer Vorlage für die Ministerin, "am besten" sei es, die Sanierung fortzusetzen und parallel schon mal das Verfahren für eine Neubeschaffung anzugehen. Dabei würde der Bund 56 Millionen Euro sparen, wenn die Reparaturen an der Gorch Fock eingestellt und jetzt schon Ersatz beschafft würde. Die Mehrkosten galten jedoch als hinnehmbar. Für die Instandsetzung der Gorch Fock wurden jetzt 75 Millionen Euro angesetzt, das galt als "Worst Case"-Annahme. Im Januar 2017 entschied von der Leyen, die Sanierung fortzusetzen. Der Baustopp wurde aufgehoben. Noch immer war die Schadensaufnahme nicht abgeschlossen.

Kojen statt Hängematten - ein möglicher Neubau wurde zu teuer veranschlagt

Der Befundbericht sollte erst am 8. November 2017 vorliegen. Die Kostenschätzung Anfang 2018: 135 Millionen Euro. Wieder war es zum Stopp der Aufträge gekommen. Wieder musste von der Leyen entscheiden. In einer neuen Vorlage wurde ihr vorgerechnet, dass im Falle des Abbruchs der Sanierung jetzt 75 Millionen Euro in den Sand gesetzt würden. Weitere fünf Millionen Euro kämen als Kosten für die Entsorgung des Schiffes dazu. Ein Neubau würde 170 Millionen Euro kosten. Im März 2018 entschied von der Leyen wieder zugunsten der Gorch Fock. Dabei seien ihr abermals falsche Informationen vorgelegt worden, wie die Rechnungsprüfer monieren. Die Kosten für einen Neubau hätten die Beamten zu hoch angesetzt, sie kalkulierten mit einem größeren Schiff, einem Viermaster, der für die Besatzung Kojen vorhält und nicht die wesentlich billigeren Hängematten, die es auf der Gorch Fock gibt. Knapp ein Jahr später herrscht wieder Krise - die Werft steht unter Korruptionsverdacht. Ein Marine-Mitarbeiter soll sich schmieren lassen haben. Wieder muss von der Leyen entscheiden, wie es weitergeht. Wieder braucht sie ihren Apparat.

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Quelle:
SZ vom 21.01.2019
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