Süddeutsche Zeitung

Bundestag:Kuschelstunde mit Katrin

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Eigentlich halten die Grünen nichts von der Asylpolitik der großen Koalition. Angela Merkel aber loben sie im Parlament für ihre Flüchtlingspolitk am entschlossensten von allen.

Von Constanze von Bullion und Nico Fried

So lange dauerte der Applaus, schon bevor Angela Merkel ein Wort gesagt hatte, dass die Kanzlerin ein wenig kichern musste. Merkels Rede-Tour entlang ihrer bekannten Stellschrauben zur Eindämmung des Flüchtlingsstroms - Verteilung in Europa, die Außengrenzen sichern, der Türkei helfen, den Krieg in Syrien beenden - begleiteten ihre Leute denn auch mit der gebotenen Aufmerksamkeit und freundlichem Applaus. Der interessantere Teil begann, als die Kanzlerin geendet hatte. Zum Beispiel Sahra Wagenknecht, neue Co-Fraktionschefin der Linken. Die Oppositionsführerin forderte nicht etwa internationale Solidarität mit Flüchtlingen, sie warnte stattdessen, die Zustände könnten die Menschen überfordern. Die Kanzlerin zeige Flüchtlingen ein freundliches Gesicht, nicht aber Alleinerziehenden oder mittellosen Rentnern. Nun müssten endlich Reiche zur Kasse gebeten werden. Der entschlossenste Beistand für Merkel kam, siehe da, von den Grünen. Statt sich zu "Anwälten der Angst" zu machen, so Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt, müsse die politische Klasse das "Zusammenwachsen" stärken. Die Haltung der Kanzlerin in der Flüchtlingsfrage sei eine "absolut christliche".

Plötzlich unterstützt auch Ex-Linken Chef Klaus Ernst die Bundeskanzlerin

Der Ball wurde von Unionsseite sogleich zurückgespielt - mit einem Bibelzitat, das der CDU-Abgeordnete Gunther Krichbaum vortrug, bevor er sich schützend vor seine Kanzlerin warf: "Was du dem geringsten meiner Brüder getan hast, das hast du mir getan" - diese christliche Botschaft habe Merkel verstanden. In einer hinteren Reihe des Bundestags steckten da schon Göring-Eckardt und Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) einträchtig die Köpfe zusammen. Noch nie hat Grün mit Schwarz so schön gekuschelt.

Vorne aber wurde es heftiger. Nach der Rede von Ex-Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), der eine entschlossenere Grenzsicherung gefordert hatte, erhob sich der frühere Linken-Chef Klaus Ernst. "Wie wollen Sie die Menschen denn aufhalten?", fragte er, an Friedrich gerichtet. "Wollen Sie, dass geschossen wird an der Grenze?"

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Quelle:
SZ vom 16.10.2015
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