Süddeutsche Zeitung

Bootsflüchtlinge:Hunderte Tote befürchtet

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Eine Hilfsorganisation spricht von möglicherweise bis zu 400 Opfern beim Untergang eines Flüchtlings-Schiffs auf dem Mittelmeer.

Von Andrea Bachstein, München

Möglicherweise bis zu 400 Menschen sind am Sonntag ums Leben gekommen bei dem Versuch, von Libyen aus das Mittelmeer zu überqueren. Das haben die Hilfsorganisation Save the Children und die Internationalen Organisation für Migration (IOM) am Dienstag mitgeteilt. Sie folgern dies aus den Aussagen von rund 150 Überlebenden eines Untergangs rund 80 Seemeilen vor Libyen, die am Dienstag von der italienischen Küstenwache in Reggio di Calabria an Land gebracht wurden. Die Küstenwache hatte bekanntgegeben, 144 Menschen gerettet und neun Leichen geborgen zu haben.

Seit dem Wochenende nimmt die Zahl der Bootsflüchtlinge, die versuchen, Italien zu erreichen, wieder deutlich zu, was mit den guten Wetterbedingungen zu tun hat. 7500 Menschen seien seit vergangenen Freitag von anderen Schiffen geborgen worden, gibt die europäische Grenzschutzagentur Frontex an. Allein am Montag wurden nach Auskunft der italienischen Küstenwache 1300 Migranten aufgegriffen. Flüchtlinge kamen auf der sizilianischen Insel Lampedusa an, auf Sizilien, in Kalabrien und Apulien, sie stammen vor allem aus dem südlichen Afrika und Syrien.

Auf dem verunglückten Schiff seien viele junge Leute, vermutlich auch Minderjährige gewesen, berichtet Save the Children. Das Schiff sei in Seenot geraten 24 Stunden nach seinem Aufbruch in Libyen. Der IOM-Sprecher für Italien sagte, sie ermittelten noch, wie das Unglück passiert sei. Auf die Zuspitzung der Lage auf den Fluchtrouten über das Mittelmeer hat bereits vor dem jüngsten Unglück IOM hingewiesen. Nach ihren Angaben ist die Zahl der gestorbenen Bootsflüchtlinge auf dem Weg nach Europa im ersten Quartal 2015 im Vergleich zum Vorjahr um fast das Zehnfache gestiegen. Von Januar bis März kamen bei der Passage durch das Mittelmeer nach Schätzungen mehr als 480 Menschen um. In den ersten drei Monaten 2014 seien es weniger als 50 Todesopfer gewesen. Die hohe Zahl jetzt erklärt IOM mit dem miserablen Zustand der Boote und dem bisher sehr schlechten Wetter. Viele Boote gingen unter, die Passagiere würden ertrinken. Zudem gingen Schleuser von Bord und überließen die Flüchtlinge ihrem Schicksal.

"Es gibt Anzeichen dafür, dass in Libyen die Boote ausgehen"

Von drastischem Vorgehen der Menschenschmuggler berichtet auch die Agentur Frontex, die das Mittelmeergebiet um die EU-Staaten überwacht. Eines ihrer Boote sei bei einer Rettungsaktion vor der libyschen Küste angegriffen worden. Nachdem Frontex rund 250 in Seenot geratene Migranten gerettet habe, seien Schmuggler aufgetaucht und hätten in die Luft geschossen, so die Agentur am Dienstag in Warschau. Gewaltsam hätten sie das leere Flüchtlingsboot gekapert und seien geflüchtet. "Das ist ein Zeichen dafür, dass in Libyen Boote knapp werden", sagte Frontex-Direktor Fabrice Leggeri. Es gab vor einigen Wochen einen ähnlichen Vorfall, bei dem italienische Küstenwachleute mit Waffen bedroht wurden.

Griechenland meldet ebenfalls zunehmende Zahlen von Bootsflüchtlingen, 800 sind es nach offiziellen Angaben, die in den letzten Tagen vor und auf Ägäis-Inseln aufgegriffen wurden. Mehr als 300 seien allein am Dienstag gekommen, berichten örtliche Medien von Lesbos, Chios, Samos und Kos. Insgesamt seien von Januar bis März 10 445 Migranten aufgegriffen worden, die meisten sind Syrer. Die stellvertretende Ministerin für Migration, Tasia Christodoulopoulou, erklärte laut dpa im griechischen Rundfunk, sie rechne damit, dass in den nächsten Monaten mehr als 100 000 Migranten nach Griechenland kommen.

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Quelle:
SZ vom 15.04.2015
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