Süddeutsche Zeitung

BND-Gesetz:Ein Quantum Trost

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Die große Koalition will dem Bundesnachrichtendienst Grenzen setzen. Auch in Zukunft bleibt "unter Freunden"allerdings einiges möglich. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Von Ronen Steinke, München

An diesem Freitag will die große Koalition die Neufassung zweier Gesetze im Bundestag verabschieden, die die Arbeit des Bundesnachrichtendienstes (BND) regeln: das BND-Gesetz und das Gesetz über das parlamentarische Kontrollgremium. Für den skandalgeschüttelten BND ist dies die größte Veränderung seines rechtlichen Rahmens seit 1990. Ungerührt von den Stürmen, die Bürgerrechtler, Datenschützer und selbst der ehemalige BND-Präsident Gerhard Schindler dagegen entfacht haben, ist die Reform recht ruhig ins Ziel gesegelt. Der finale Gesetzentwurf ist fast identisch mit dem ersten.

Wird der BND künftig mächtiger oder weniger mächtig?

Die Zielrichtung der Reform, und in dieser Hinsicht herrscht durchaus breite politische Einigkeit, ist: Der BND braucht strengere Aufsicht. Genauere Vorgaben, stärkere Kontrollen. Das geht zurück auf die Enthüllungen Edward Snowdens: Als 2013 bekannt wurde, dass deutsche Nachrichtendienstler ihren US-Kollegen von der NSA beim Belauschen europäischer Regierungen halfen, wollten weder das Kanzleramt, das den Dienst beaufsichtigt, noch selbst der BND-Präsident davon etwas gewusst haben. 2014 wieder: Als bekannt wurde, dass der BND auch auf eigene Rechnung befreundete Regierungen abhört, etwa die ehemalige US-Außenministerin Hillary Clinton und die Vereinten Nationen, wollte niemand etwas gewusst haben.

Kann das Kanzleramt weiter so leicht sagen: Wir wusste von nichts?

Nein. Hier bringt die Reform des BND-Gesetzes eine Neuerung, die auch aus Sicht von Kritikern wie dem Geheimdienstexperten Thorsten Wetzling von der Stiftung Neue Verantwortung positiv ist. Für die politisch sensible Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten muss das Kanzleramt in Zukunft stärker Verantwortung übernehmen. Bevor Daten mit ausländischen Diensten ausgetauscht werden, muss künftig stets das Kanzleramt der Kooperationsvereinbarung zustimmen, "da kann sich niemand mehr aus der Verantwortung stehlen", sagt Wetzling. Für Datenaustausch mit einem Land außerhalb der Nato (etwa Tunesien, Israel), muss sogar der Kanzleramtschef persönlich verantwortlich zeichnen.

Warum ist außer der Union trotzdem niemand mit der Reform zufrieden?

Der BND bekommt nur eine minimal strengere Aufsicht, bemängeln Kritiker. Sie sprechen von einer verpassten Chance.

Wie sieht die viel diskutierte Kontrolle des Geheimdienstes künftig aus?

Bislang ist es so: 13 Mitglieder gehören den beiden wichtigsten Kontrollgremien an, der G-10-Kommission und dem parlamentarischen Kontrollgremium. Gemeinsam sollen sie mehr als 6000 Bedienstete des BND kontrollieren. Die große Koalition verstärkt nun eines dieser Kontrollgremien, und sie ruft ein weiteres ins Leben. Erstens wird das Bundestags-Kontrollgremium ausgebaut: In Zukunft soll es sich auf eine Geschäftsstelle mit 20 Mitarbeitern verlassen können, an deren Spitze ein vom Bundestag bestellter Geheimdienstexperte steht. Die SPD hätte gern einen erfahrenen Richter bestellt, der den im Kontrollgremium wehenden Geist der Unabhängigkeit von der Exekutive repräsentiert. Die Union hatte aber das Vorschlagsrecht, und sie hat zu Beginn dieser Woche den Juristen und CDU-Politiker Arne Schlatmann vorgeschlagen, der bisher im Bundesinnenministerium die Unterabteilung "Öffentliche Sicherheit I" leitet, zuständig unter anderem für Terrorismusbekämpfung und Internationales. Mit ihm könne man gut leben, heißt es aus der SPD. Daneben wird, zweitens, ein neues Gremium aus drei Juristen geschaffen, die in Karlsruhe sitzen und die Überwachungstätigkeit des BND im Ausland prüfen sollen. Das hat der ehemalige BND-Präsident Schindler scharf kritisiert: "Wie die Erfahrung zeigt, intensivieren diese Parallelstrukturen gerade nicht die Kontrolle, sondern machen sie unsystematisch und unübersichtlich."

"Abhören unter Freunden": Geht das nun oder geht das nicht?

Nach deutschem Recht ging es schon immer. Noch nie hat ein Gesetzgeber dem BND insofern Fesseln anlegen wollen, stattdessen argumentierten die Juristen der Bundesregierung stets, kurz gesagt: Datenschutz gelte für Inländer, Ausländer seien Freiwild. Ausländer (ob man sie Freunde nennt oder nicht) genössen nicht das Grundrecht auf Telekommunikationsfreiheit nach Artikel 10 des Grundgesetzes. Im Geiste des Kanzlerinnen-Diktums, Abhören unter Freunden gehöre sich nicht, versprach die Koalition dann eigentlich, das zu ändern. EU-Institutionen und EU-Bürger sollten in derselben Weise vor BND-Lauschern geschützt werden wie Deutsche. Man hätte sie nur überwachen dürfen, wenn es um konkrete Gefahren geht, etwa Terrorismus oder Waffenschmuggel.

Stattdessen belässt die große Koalition es nun beim Status quo. Die Überwachung von Ausländern im Ausland - auch des US-Präsidenten - bleibt generell zulässig. Wo es um Europäer geht, soll es zwar erstmals Hürden geben: Die Überwachung von EU-Bürgern ist nur dann erlaubt, wenn es darum geht, "die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland zu wahren". Das ist aber eine sehr niedrige Hürde. Das kann fast alles bedeuten. Abhören unter Freunden? Die Bundesregierung erlaubt sich weiterhin, sich dies zu erlauben.

Warum protestieren vor allem Journalistenverbände so laut?

Priester, Anwälte und Journalisten sind sogenannte Zeugnisverweigerungsberechtigte, sie dürfen innerhalb Deutschlands nur unter sehr engen Voraussetzungen belauscht werden. Im Ausland soll der BND aber auf Journalisten keine besondere Rücksicht nehmen müssen, so sieht es das neue BND-Gesetz vor. "Das Signal, was von Deutschland ausgeht, ist wirklich fatal", sagt der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr.

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Quelle:
SZ vom 21.10.2016
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