Süddeutsche Zeitung

Blutspenden von Homosexuellen:Böses Blut

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Homosexuelle Männer dürfen in Deutschland kein Blut spenden - egal ob ihr Sexualverhalten tatsächlich riskant ist. Schwulenverbände prangern Diskriminierung an - die Ärztekammer sieht sich im Recht.

Johann Osel

Michael W. war treuer Blutspender, viele Jahre lang. Dann ließ er sich von seiner Frau scheiden. Er hatte sich in einen Mann verliebt und wollte mit ihm ein neues Leben beginnen. Beim nächsten Spendetermin kreuzte W. im Fragebogen an, er habe sexuellen Kontakt mit einem Mann gehabt. Seitdem ist der 42-Jährige dauerhaft von der Blutspende ausgeschlossen.

Die Kriterien dafür nennt die Bundesärztekammer in der Transfusionsrichtlinie: Neben ernsthaft kranken Personen, Drogenabhängigen, Häftlingen und Prostituierten fallen homo- oder bisexuelle Männer pauschal unter das Verbot - egal ob ihr Sexualverhalten auch tatsächlich riskant ist. Homosexuelle Vereine wie Schwules Blut e.V. fordern schon Jahren, diese Diskriminierung abzuschaffen, ohne zugleich die größtmögliche Sicherheit für gespendetes Blut zu gefährden. Bisher erfolglos.

"Wenn jemand von Bett zu Bett hüpft, soll und darf er natürlich nicht spenden", sagt Lars-Haucke Martens, Sprecher von Schwules Blut. Es sei aber diskriminierend, Schwulen grundsätzlich einen unreflektierten Lebenswandel und die billigende Gefährdung der Empfänger durch potentiell infektiöses Blut zu unterstellen.

Konkret soll in den Fragebögen für Spender nicht mehr nach der sexuellen Orientierung, sondern nach der Häufigkeit wechselnder Sexualkontakte gefragt werden. Sprich: Gesunde Schwule, die in einer monogamen Beziehung leben und geschützten Sex praktizieren, dürfen spenden - und promiskuitiv Lebende, egal ob Schwule oder Heterosexuelle, aber nicht.

In Spanien und Italien ist es in den vergangenen Jahren zu solchen Regelungen gekommen. Nun steht das Thema offenbar kurz davor, auch in Deutschland auf die politische Agenda zu kommen. Bei den Grünen gab es im November auf dem Erfurter Bundesparteitag einen Antrag dazu.

Dieser ist inzwischen in den Arbeitskreisen der Fraktion angekommen, bis April könnte ein Ergebnis vorliegen: Ausgang noch offen, heißt es. Einige Landesverbände der Schwusos innerhalb der SPD sowie der FDP-Bundestagsabgeordnete Michael Kauch, selbst homosexuell, beschäftigen sich ebenfalls damit. Kauch sieht neben der Diskriminierung auch gesundheitspolitische Relevanz: "Kann man sich angesichts Blutknappheit den Verzicht auf gesunde homosexuelle Spender überhaupt leisten?"

Die Richtlinien - gemäß dem 1998 erlassenen Transfusionsgesetz - gehen zurück auf den Blutskandal vom Herbst 1993: Damals wurde bekannt, dass Behörden-Berichte über verseuchte Blutkonserven geschönt waren. In den 80er- Jahren, als das HI-Virus noch unbekannt war beziehungsweise die Diagnostik noch in den Kinderschuhen steckte, infizierten sich mehrere hundert Menschen mit dem Virus über Bluttransfusionen.

"Eine medizinisch begründete Vorsichtsmaßnahme"

Mit der Einführung des HIV-Tests für alle Blutkonserven und besserer Diagnostik ging die Zahl der Infektionen über Blutprodukte inzwischen gegen null zurück. "Wir sind an die Richtlinien gebunden", sagt ein Sprecher des DRK-Blutspendedienstes. Aber: Homosexuelle seien nun mal risikobehaftet, das sehe man an den steigenden HIV-Neuinfektionen in dieser Gruppe. Egal wie gute Tests es auch geben mag, es bleibe eine vierwöchige Fensterphase nach einer Infektion. Eine Infektion vor 25 Jahren oder selbst vor wenigen Monaten ist heute hingegen sicher nachweisbar. Daher gelte: "Höchstmögliche Sicherheit - koste es, was es wolle."

Der Verein Schwules Blut bietet im Internet Vordrucke für Beschwerdebriefe an die Ärztekammer, die laut Lars-Haucke Martens auch rege genutzt werden. Allerdings habe er von Antworten an die Briefeschreiber gehört, die den Verein diffamierten und als strafrechtlich bedenklich hinstellten. "Wir sind also definitiv auf politische Initiativen angewiesen, weil sich die Dienststellen immer wieder stur stellen." Den Diskriminierungsvorwurf will man bei der Ärztekammer nicht gelten lassen, der Ausschluss sei voll und ganz "eine medizinisch begründete Vorsichtsmaßnahme", heißt es in einer Stellungnahme. Und die Ausschlusskriterien seien fachlich unumstritten.

Lebensrettende Lügen?

Doch laut FDP-Mann Kauch gibt es im zuständigen Arbeitskreis Blut des Gesundheitsministeriums, wo unter anderem Vertreter der Ärztekammer und der staatlichen Forschungsinstitute sitzen - ein geteiltes Bild: zwischen praktischen Ärzten, die das Thema abwägend sähen, und Hardlinern aus der Wissenschaft.

"Die politischen Mühlen mahlen langsam", befürchtet Vereinssprecher Martens trotz des aktuellen Hoffnungsschimmers. Bis dahin wird die Ausschlussregelung vor allem eines provozieren: Verschweigen und Lügen. Dass Blutspender ihre Neigung einfach verschweigen und dadurch das von ihnen nicht akzeptierte Fragebogensystem torpedieren, sei verbreitet. Strafbar mache man sich dabei nicht - sondern nur der Arzt, falls er von der Homosexualität wusste und die Spende dennoch zuließe. Er wisse auch von Freunden, dass die vor dem Blutspenden das Kreuzchen an der falschen Stelle machten - mit dem Argument: "Ich bin schließlich gesund und lebe seit Jahren in einer monogamen Beziehung." Allerdings wären wohl ohne solche Lügen, sagt Martens, manche Blut- und Knochenmarkempfänger schon längst gestorben.

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SZ vom 24.02.2009/woja
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