Süddeutsche Zeitung

Belarus:Merkel bittet Putin um Eingreifen

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Angesichts der dramatischen Lage der Migranten an der Grenze zu Belarus drängt die Bundeskanzlerin Putin, Einfluss auf die autoritäre Regierung in Minsk zu nehmen. Zuvor hatten Geflüchtete offenbar den Grenzzaun zu Polen überwunden.

An der Grenze zwischen Belarus und Polen verschärft sich die Lage. Zwei größere Gruppen von Geflüchteten sollen die Grenze nach Polen an zwei Stellen durchbrochen haben.

Angesichts der dramatischen Lage an der belarussisch-polnischen Grenze bat Kanzlerin Merkel Russlands Präsidenten Putin, Einfluss auf die autoritäre Regierung in Minsk zu nehmen. Konkret habe Merkel in einem Telefonat mit Putin unterstrichen, dass die Instrumentalisierung von Migranten gegen die Europäische Union durch Machthaber Alexander Lukaschenko unmenschlich und vollkommen inakzeptabel sei, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit.

Polen erwägt komplette Grenzschließung zu Belarus

Ebenfalls am Mittwoch gab der polnische Regierungssprecher Piotr Müller bekannt, eine komplette Grenzschließung zu Belarus zu erwägen. Dies werde als Option in weiterreichenden Szenarien berücksichtigt, sagte er im Interview mit dem Portal Wirtualna Polska. Die belarussischen Behörden seien informiert worden, dass eine solche Möglichkeit bestehe, wenn sie ihre Aktivitäten nicht einstellten. Eine Rückmeldung von belarussischer Seite habe es dazu bislang nicht gegeben.

Am späten Dienstagabend hatte der örtliche Sender Polskie Radio Białystok berichtet, dass es Dutzenden Migranten gelungen sei, Grenzzäune in der Nähe der Ortschaften Krynki und Białowieża zu überwinden und die Grenze zu passieren. Der Radiosender zitierte eine Sprecherin des Grenzschutzes, der zufolge in beiden Fällen Zäune und Barrieren gewaltsam niedergerissen worden seien. Einige der Flüchtlinge seien nach Belarus zurückgebracht worden, andere seien auf freiem Fuß.

Auf der belarussischen Seite befänden sich Hunderte Menschen. Nach Angaben der polnischen Behörden hätten die Flüchtlinge von belarussischen Organisationen Lebensmittel erhalten, hieß es weiter. Das EU-Mitglied Polen hat Tausende Soldaten an der Grenze stationiert, die einen Durchbruch mit Stacheldraht verhindern sollen. Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko hatte am Dienstag gefordert, die Menschen durchzulassen. Sie wollten sich nicht in Polen niederlassen, sondern vor allem in Deutschland, sagte er in einem Interview.

Der als "letzter Diktator Europas" verschriene Politiker steht im Ruf, die Menschen aus Krisenstaaten wie Syrien, Afghanistan, Libyen und Irak gezielt einfliegen zu lassen, um sie dann in Richtung EU-Grenze zu schleusen. Lukaschenko hatte die Anschuldigungen zurückgewiesen und internationale Schleusernetzwerke für die Organisation der Reisen der Menschen verantwortlich gemacht. Er räumte erneut ein, die Migranten auf ihrem Weg in die EU nicht mehr aufzuhalten. Vermutet wird, dass sich der Machthaber damit für Sanktionen rächen will, die die EU wegen der Unterdrückung der Zivilgesellschaft und der demokratischen Opposition erlassen hat.

Maas fordert Sanktionen gegen Lukaschenkos Helfer

Der geschäftsführende Außenminister Heiko Maas ist für Sanktionen gegen alle, die sich an der Schleusung von Flüchtlingen nach Belarus beteiligen. "Niemand sollte sich ungestraft an Lukaschenkos menschenverachtenden Aktivitäten beteiligen dürfen", erklärte der SPD-Politiker. Dies gelte für Herkunfts- und Transitstaaten, aber auch für Fluggesellschaften, die den Transport von Menschen nach Belarus ermöglichten. Die Europäische Union sei bereit, "hier klare Konsequenzen zu ziehen".

"Die Bilder und Eindrücke, die wir aus dem belarussischen Grenzgebiet erhalten, sind entsetzlich", sagte Maas in einer schriftlichen Erklärung. "Herr Lukaschenko dreht weiter an einer gefährlichen Eskalationsspirale, aus der es für ihn selbst keinen Ausweg gibt. Skrupellos nutzt er Zuflucht suchende Menschen als Geiseln für sein zynisches Machtspiel aus." Die EU sei aber nicht erpressbar.

Der SPD-Politiker sprach sich auch für weitere direkte EU-Sanktionen gegen Belarus aus. "Lukaschenko muss erkennen, dass sein Kalkül nicht aufgeht. Das schließt übrigens auch nicht aus, künftig die Sanktionen auch auf andere Wirtschaftsbereiche auszuweiten." Einige Wirtschaftssektoren wie die Kaliindustrie und die Energiewirtschaft sind bereits mit Strafmaßnahmen belegt.

Maas ist seit Ende Oktober nur noch geschäftsführender Minister, an den Koalitionsverhandlungen mit FDP und Grünen aber beteiligt. Er versprach auch humanitäre Hilfe für Flüchtlinge an der Grenze. Verschiedene Organisationen stünden bereit. Nach Angaben von Diplomaten wollen die ständigen Vertreter der Regierungen der EU-Länder an diesem Mittwoch eine Ausweitung von Sanktionen auf den Weg bringen. Bei einem Treffen der EU-Außenminister am Montag könnten sie beschlossen werden.

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