Süddeutsche Zeitung

Barttrend:Was für ein Wucher

Lesezeit: 3 min

Der Bart hält sich hartnäckig im Gesicht des Mannes. Sehr zum Leidwesen von Rasiererfirmen.

Von Veronika Wulf

Seit Jahren sagen sogenannte Bartexperten Peak Beard voraus - den Barthöhepunkt. Manche bemühten gar das unappetitliche Bild einer Bartblase, die kurz davor sei zu platzen. Nun, da platzt erst mal gar nichts, der Bart hält sich hartnäckig im Gesicht des Mannes. Mehr als die Hälfte der Männer in Deutschland tragen immer oder manchmal Bart, hat eine Umfrage 2017 ergeben. Schlecht für die Rasiererfirmen: Der Absatz an Rasierapparaten ging dem Marktforscher Nielsen zufolge im vergangenen Jahr um fast acht Prozent zurück, der von Rasierklingen um 2,6 Prozent.

Das bekommt auch der Weltmarktführer Gillette zu spüren. Der Umsatz im Bereich Rasur beim amerikanischen Mutterkonzern Procter & Gamble (P&G) schrumpft seit Jahren. Gillette hat dem weltgrößten Konsumgüterhersteller im abgelaufenen Geschäftsquartal sogar einen Milliardenverlust eingebrockt.

Denn die Firma hält eisern am Rasierer fest, während Start-ups den Barttrend für sich nutzen und Bartbürsten, -seren, -öle und sonstige Fellpflege auf den Markt werfen. Der Drogeriemarkt dm hat seine Regale entsprechend umgeräumt. Rasierer und Klingen entwickelten sich "nicht mehr so dynamisch wie in der Vergangenheit", teilt Geschäftsführer Christoph Werner mit. "Andererseits haben wir unser Angebot für Bartpflege oder -styling um Produkte von neuen Marken oder kleineren Start-up-Marken erweitert." Auch Barbershops, die in den Innenstädten nur so sprießen, profitieren vom Barttrend.

Gillette indessen versucht alles, um dem haarigen Mann den Kauf von Rasierklingen schmackhaft zu machen oder sonst irgendwie Geld an ihm zu verdienen. So brachte die Firma einen Barthaartrimmer heraus und ein Rasierklingen-Abo, zu dem es einen Gutschein für den Streamingdienst Sky als Verkaufsargument obendrauf gibt. Gillette experimentierte mit einem Rasiererständer, über den man per Knopfdruck Klingen nachbestellen kann. Zudem entdeckte die Firma andere behaarte Männerkörperteile und lancierte einen "Body"-Rasierer.

Gillettes verzweifeltes Festhalten am Rasierer hängt wohl auch damit zusammen, dass es der amerikanische Firmengründer King Camp Gillette war, der 1901 den ersten mechanischen Nassrasierer mit Einwegklinge für zu Hause auf den Markt brachte. Mit dieser Erfindung hielt sich Gillette erfolgreich an der Spitze. Die Firma, die seit 1937 auch in Berlin Klingen produziert, wurde 2005 von P&G übernommen, für satte 57 Milliarden Dollar. In all den Jahren hatte Gillette vor allem einen großen Konkurrenten: die Londoner Firma Wilkinson Sword, die in den Sechzigerjahren kräftig aufholte und inzwischen ebenfalls zu einem amerikanischen Konsumgüterriesen, nämlich zu Edgewell, gehört.

Seit Jahren kämpfen die beiden Hersteller um die Vormachtstellung am Markt, gerne auch juristisch. Meistens ging es um Patentverletzungen, manchmal um irreführende Werbung. Mal klagte Wilkinson, mal Gillette. Mal gewann Gillette, mal Wilkinson. Und dann war da noch das Klingenwettrüsten. Als Wilkinson einen Rasierer mit Doppelklinge herausbrachte, lancierte Gillette einen mit drei Schneiden. Wilkinson reagierte mit vier, Gillette folgte mit fünf, Wilkinson zog ebenfalls mit einem Fünfer nach.

Vielleicht wurde den beiden Herstellern das Prinzip zu öde, vielleicht wird die Rasur aber auch einfach nicht noch glatter, wenn mehr als fünf Klingen hintereinander gestaffelt sind. Jedenfalls überließen die beiden Kontrahenten anderen Firmen das Feld der Rasierer mit sechs Klingen aufwärts, und Anfang des Jahres wagte Gillette den Strategieumschwung: ein Rasierer mit zwei Klingen. Das Unternehmen markiert den "Skinguard" für sensible Männerhaut auf seiner Website als Meilenstein in seiner Geschichte. Denn: "Unsicherheit und ein unangenehmes Gefühl nach der Rasur führen dazu, dass Männer mit empfindlicher Haut vermeiden, sich zu rasieren", weiß Gillette laut Pressemitteilung. Vielleicht überzeugt es ja einen der Bartträger.

Passend zum Sensitiv-Rasierer vollzog die Marke, deren Produktästhetik bisher eher an Energydrinks und aufgemotzte Sportwagen erinnerte, auch einen Schwenk in der Werbung: Gillette brachte einen Spot heraus, der Männer dazu aufruft, gute Vorbilder für Jungen zu sein, keine Frauen zu belästigen, Konflikte nicht mit Fäusten zu regeln. Manche Frauen jubelten, manche Männer sahen sich in ihrer Männlichkeit verletzt und riefen zum Gillette-Boykott auf. Der Spot hat auf Youtube inzwischen 1,5 Millionen Dislikes - doppelt so viele wie Likes. Die Aufmerksamkeit ist Gillette jedenfalls sicher. Auch in Bartzeiten.

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Quelle:
SZ vom 07.09.2019
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