Süddeutsche Zeitung

Auftrittsverbote:Die Bundesregierung könnte Erdoğan einen Besuch in Deutschland verbieten

Lesezeit: 1 min

Analyse von Stefan Ulrich

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan und seine Minister verkünden, niemand könne sie hindern, in Deutschland für ein Ja beim türkischen Verfassungsreferendum zu werben. Aus Sicht des Völkerrechts liegen sie damit falsch. Denn danach müssen sie für solche Auftritte die Erlaubnis der Bundesregierung einholen. Tun sie das nicht, verletzen sie die Territorialhoheit und damit die Souveränität Deutschlands.

Erdoğan und seine Vertrauten können diese Erlaubnispflicht auch nicht umgehen, indem sie behaupten, in Deutschland als Privatpersonen Wahlkampf zu machen. Das Verfassungsreferendum wurde nämlich von der Regierung Erdoğan initiiert - und es wird von ihr massiv beworben. Somit ist die Regierung im Wahlkampf Partei. "Das legt die Vermutung nahe, dass die türkischen Regierungsmitglieder in Deutschland nicht als Privatpersonen auftreten", sagt der Völkerrechtsprofessor Georg Nolte von der Humboldt-Universität Berlin. "Nach allgemeinem Völkerrecht müsste Präsident Erdoğan daher die Zustimmung der Bundesregierung einholen."

Ähnlich sieht das der Augsburger Völkerrechtsprofessor Christoph Vedder, der argumentiert: "Wahlkampfauftritte von Regierungsmitgliedern sind eine Ausübung von Hoheitsrechten auf dem Territorium eines anderen Staates und verletzen dessen Territorialhoheit. Daher bedürfen sie der Genehmigung des Staates, auf dessen Territorium sie stattfinden sollen."

Auftrittsverbote für ausländische Regierungsvertreter sind nicht neu

Wenn Erdoğan oder seine Minister also in Deutschland auftreten wollen, müssten sie zuerst in Berlin um Erlaubnis bitten. Die Bundesregierung hat dann ein weites politisches Ermessen, ob sie diese Erlaubnis erteilt. Dabei muss sie allerdings die Grundrechte beachten, zum Beispiel die Meinungsfreiheit. Grundrechte sind jedoch primär Rechte der Bürger gegenüber dem Staat. "Regierungsvertretern stehen sie daher prinzipiell nicht zu", sagt Nolte. Vedder meint, es gehe in dem Streit also nicht um individuelle Grund- oder Menschenrechte. Auf der Ebene der Menschenrechte würde im übrigen Artikel 16 der Europäischen Menschenrechtskonvention eingreifen. Danach kann "die politische Tätigkeit ausländischer Personen" beschränkt werden.

Auftrittsverbote für ausländische Regierungsvertreter sind auch nicht neu. So untersagte es 2016 das Oberverwaltungsgericht Münster, dass Erdoğan per Video bei einer Demonstration in Köln zugeschaltet wurde. Die Richter urteilten, es sei allein Sache der Bundesrepublik zu entscheiden, ob sich ausländische Politiker auf öffentlichen Versammlungen im Bundesgebiet als Hoheitsträger amtlich zu politischen Fragestellungen äußern dürfen.

Die Entscheidung, ob Erdoğan und seine Vertrauten in Deutschland auftreten können, müsste also nicht allein Gemeinden wie Gaggenau überlassen bleiben. Die Bundesregierung könnte eine politische Entscheidung fällen - dafür oder dagegen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3408981
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 08.03.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.