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AKW-Laufzeiten:Spaltbares Material

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Obwohl die Ampel es ausgeschlossen hat und auch er selbst es als sinnlos beerdigte, eröffnet Christian Lindner nun eine Debatte über eine Rückkehr zur Atomenergie. Der Koalition droht Streit.

Von Stefan Braun

Einsteigen? Aussteigen? Wieder einsteigen? Bundesfinanzminister Christian Lindner versucht sich gerade an einem besonderen Manöver. Und zwar beim Thema Atomkraft. Während er diese Energiequelle noch Anfang des Jahres politisch beerdigte, hat er nun eine Debatte über einen möglichen Wiedereinstieg begonnen. Angesichts der komplizierten Lage zwischen Energiekrise, Klimaschutz und Ukraine-Krieg müsse Deutschland auch offen über eine Rückkehr zur Kernkraft diskutieren. "Die Menschen erwarten, dass wegen des Klimaschutzes, der Abhängigkeit von Putin und der Inflation alle Möglichkeiten erwogen werden", sagte Lindner der Bild. Wirtschaftlich sei er zwar noch nicht überzeugt, dass sich neue Investitionen in Kernkraft wirklich rechneten. "Aber Deutschland darf sich einer Debatte nicht verschließen, die überall auf der Welt geführt wird. Ich rate dazu, die Argumente vorurteilsfrei auf den Tisch zu legen."

Noch am 6. Januar klang Lindner ganz anders. Beim Dreikönigstreffen der Liberalen in Stuttgart hatte er erklärt, für Deutschland sei "die Kernenergie ohnehin keine Option" mehr. Manche träumten zwar davon. Aber: "Wo gibt es eine Bereitschaft für neue Anlagen? Wo gibt es private Betreiber? Wo gibt es privates Kapital? Wo gäbe es einen privaten Versicherer, der das Risiko der Kernenergie im Markt versichern würde?" Das, so Lindner, gelinge nur mit Staatshaftung. "Für einen Marktwirtschaftler ist das bereits ein Anzeichen, dass Kernenergie auch ordnungspolitisch nicht vertretbar ist."

Unmissverständliche Sätze waren das. Und trotzdem pirscht sich Lindner nun an einen politischen Sprengsatz heran, der heikler kaum sein könnte. Es spricht zwar viel dafür, dass er sich an seine Worte vom 6. Januar noch erinnert. Aber es spricht noch mehr dafür, dass er die Folgen eigener Widersprüchlichkeit geringer einschätzt als die Gefahr, in der eigenen Partei oder von der für ihn gefährlichsten politischen Konkurrenz, der Union, von einem Neuaufbrechen der Debatte überrascht zu werden. Offenbar ist ihm dann lieber, wenn er selbst die Kontroverse beginnt, um zu sehen, wie sich die Lage entwickelt - und um am Ende im Zweifel derjenige zu sein, der sie nach Prüfung wieder beerdigt. Vielleicht endgültig.

In der Berliner Koalition haben die Äußerungen Konfliktpotenzial

Ziemlich wahrscheinlich ist, dass angesichts des bevorstehenden Öl-Embargos und eines für die Volkswirtschaft noch herausfordernderen Gas-Embargos in manchen Großunternehmen der Wunsch nach anderen Energiequellen steigt. Eine harte Forderung an die Politik ist daraus bislang aber nicht erwachsen. Und das könnte damit zu tun haben, dass viele Unternehmen noch gut in Erinnerung haben, wie schnell die Politik im Zweifel hin und her wechselt. Gerade bei diesem Thema.

In der Berliner Koalition haben die Äußerungen gleichwohl Konfliktpotenzial. Sollte die Debatte nun voll aufbrechen, dürfte vonseiten der Grünen noch mehr kommen als jenes freundlich-strikte "Nein", das Wirtschaftsminister Robert Habeck aus dem fernen Jordanien nach Berlin geschickt hat. Der Grünen-Politiker erklärte, zur Atomenergie sei nicht mehr viel zu sagen. Das Thema sei noch einmal "ideologiefrei fachlich" durchgeprüft und dann entschieden worden. Die Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann ergänzte: "Es wird keinen Ausstieg vom Ausstieg geben. Da bin ich mir ganz sicher."

Derzeit sind in Deutschland nur noch die Atomkraftwerke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 am Netz. Sie sollen bis Ende des Jahres abgeschaltet werden.

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