Süddeutsche Zeitung

Atomausstieg:Solo für Deutschland

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Deutschland ist gerade so erleichtert, das Konflikthema Atomkraft gelöst zu haben, dass es seine Nachbarn fast vergisst. Doch ohne - oder sogar gegen - Europa wird der deutsche Atomausstieg nicht funktionieren.

Jeanne Rubner

In Berlin schwört die Kanzlerin die Deutschen auf den Atomausstieg ein, in Niedersachsen suchen Menschen in Schutzanzügen fieberhaft nach einem gefährlichen Bakterium. Deutschland ist derzeit schwer mit sich selbst beschäftigt, so sehr, dass es dabei fast zu vergessen scheint, dass es auch europäische Nachbarn hat.

Da werden spanische Gurken und weiteres Gemüse zum tödlichen Gefahrenherd erklärt, ohne zu bedenken, dass solche voreiligen und bedenkenlos erteilten Warnungen Tausende europäische Landwirte in den Ruin treiben. Auch beim Atomausstieg agiert die Koalition, als ob es kein Europa jenseits der deutschen Grenzen gäbe.

Mit zunehmender Nervosität schauen Deutschlands Nachbarn auf die Mitte des Kontinents, wo sich viele europäische Stromleitungen kreuzen. Vor allem Frankreich, das weiterhin auf die Kernkraft schwört, macht sich Sorgen. Denn das Angebot von Präsident Nicolas Sarkozy, den Deutschen französischen Atomstrom zu liefern, dürfte vorschnell gewesen sein.

Tatsächlich produzieren Frankreichs Atommeiler zwar auch für deutsche Haushalte und Betriebe, oft aber braucht Frankreich auch den deutschen Strom - bei großer Kälte beispielsweise, wenn die Elektroheizungen auf vollen Touren laufen, oder während der Sommerhitze, wenn Kühlwasser für die vielen Kernkraftwerke entlang der Loire oder der Rhône knapp wird. Mal wird exportiert, mal importiert - das Geschäft mit dem Strom ist längst ein gesamteuropäisches geworden.

Als mächtige Industrienation und großer Energieproduzent wirkt Deutschland wie ein Puffer für ganz Europa. Wenn in Zukunft die Stromnetze große Schwankungen aushalten müssen, weil Kernkraftwerke abgeschaltet bleiben und der Ökostrom an trüben Tagen mal nur ein paar Prozent, an sonnigen und windreichen Tagen dagegen einen Großteil des Bedarfs deckt, dann wirkt sich das auch auf die Nachbarländer aus. Dann kann es ganz schnell passieren, dass Schwankungen in Deutschland Teile des europäischen Netzes in die Knie zwingen und der Strom nicht nur hierzulande, sondern auch jenseits der Grenzen ausfällt.

Deutschland muss sich kritische Fragen gefallen lassen

Deshalb müssen die Deutschen sich durchaus kritische Nachfragen gefallen lassen, wie sie denn die wegfallende Kernkraftleistung ersetzen wollen. Wie ein Land seinen Strom herstellt, ist zwar seine Sache, der heimische Energiemix bleibt auch weiterhin nationale Angelegenheit. Bei der Energiesicherheit aber hat Brüssel durchaus mitzureden, übrigens auch bei den Klimazielen, die Europa sich gemeinsam gesetzt hat. Falls Deutschland jetzt die abgeklemmten Kernkraftwerke durch neue Kohlemeiler ersetzen wird, dann dürfte der Ausstoß an Kohlendioxid kräftig steigen und die europäische Bilanz an Treibhausgasen gehörig belasten.

Die deutsche Energiepolitik geht ganz Europa etwas an - im Gegenzug kann der Atomausstieg nicht ohne Hilfe der anderen europäischen Länder funktionieren. Solange es die Energiespeicher nicht gibt, die man braucht, um das Auf und Ab des Ökostromaufkommens auszugleichen, solange kann nur das europäische Stromnetz die deutschen Schwankungen stabilisieren.

Ohne seine Nachbarn im Norden und Süden wird Deutschland sich auch schwertun, den Atomstrom durch erneuerbare Energie zu ersetzen. Die beliebten Solarzellen auf heimischen Dächern werden bei weitem nicht ausreichen, um den wachsenden Bedarf an Ökostrom zu decken. Man wird vielmehr Solarstrom aus Südspanien und Nordafrika importieren müssen, auch Windräder an der Küste Großbritanniens könnten zusätzlichen Windstrom liefern.

Viele Deutsche sind jetzt erleichtert, dass das Konfliktthema Atom gelöst ist, manche äußern sich sogar stolz über den Alleingang. Doch ein Ausstieg ohne oder sogar gegen Europa, der kann nicht funktionieren.

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Quelle:
SZ vom 10.06.2011
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