Süddeutsche Zeitung

Angela Merkel im Bundestag:Mit geballter Faust aus der Krise

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Selten hat sich die Bundeskanzlerin so aggressiv präsentiert wie bei ihrem Auftritt bei der Generaldebatte zum Haushalt 2012. Merkel kämpft wortgewaltig für Europa sowie um Unterstützung in den eigenen Reihen - und teilt geschickt gegen die Sozialdemokraten aus. Die Kanzlerin hat ihr Thema gefunden: Europa retten.

Oliver Das Gupta

Als es vorbei ist, strahlt Angela Merkel. Sie sitzt auf der Regierungsbank und schaut erleichtert in die Reihen der Regierungsfraktionen von Union und FDP. Alle klatschen. Die Kanzlerin schaut nach rechts, wo Vizekanzler und Außenminister applaudieren. Guido Westerwelle wirkt so vergnügt, als ob seine Popularitätswerte urplötzlich prima seien. Prima aber läuft an diesem Mittwochvormittag im Bundestag vor allem: Angela Merkels Rede.

Selten wirkte die Bundeskanzlerin so kämpferisch wie bei ihrem Auftritt bei der Generaldebatte zum Haushalt 2012. Selten waren die Rahmenbedingungen so schwer, selten ging es um so viel: die Murrer, Zweifler und Blockierer in den eigenen Reihen zu überzeugen, dem Euro-Rettungsschirm zuzustimmen. Der Opposition Paroli bieten, ohne Brücken abzubrechen. Die eigene weidwunde Regierungskoalition motivieren, die maue schwarz-gelbe Bilanz preisen, Entschlossenheit wie Führung vermitteln. Und das alles in einer Rede wenige Tage nach dem Tod ihres Vaters.

Ganz in Schwarz gewandet tritt die CDU-Vorsitzende um 11:23 Uhr ans Rednerpult des Parlaments. Vor ihr hatte ihr früherer Vizekanzler und heutiger SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier geredet. Er spottete, frotzelte und attackierte in bestem Schröder-Sprech: Wenn das mit der Regierung alles so "doll is'", wenn das alles so "dolle Hechte" sind, warum stehe dann die Koalition so desolat da? Das hob in den Reihen der SPD die Laune, manchem Abgeordneten von Union und FDP tat es sichtbar weh.

Der Kanzlerin erkennt die Wirkung von Steinmeiers Rede und reagiert. Gleich in den ersten Sätzen geht sie ihn gekonnt arrogant an: Nun sei es "dringend notwendig, die Dinge wieder zu ordnen", sagt die Kanzlerin in Richtung Steinmeier: "Ihre Rede war konfus." Wenige Worte, die bei Freund und Feind saßen.

Merkel beginnt dann die Regierungsbilanz der Koalition aus CDU, CSU und FDP zu preisen: "Wir konnten den Aufschwung so gestalten, dass die Arbeitslosenzahl gesunken ist." Man habe im Jahr drei nach Lehman Brothers das Vorkrisenwachstum wieder erreicht. Deutschland sei "Wachstumslokomotive" in Europa, "darauf können wir stolz sein". Deutschland gehe es im Sommer 2011 gut, "das ist Grund zur Freude". Trotz aller Befürchtungen vor einem Einbruch gebe es keine Anzeichen für eine Rezession. Diese Sätze sind Balsam für die Abgeordneten der Regierungsfraktionen.

Merkel legt nach: Die schwarz-gelbe Koalition habe in den ersten zwei Jahren gute Arbeit geleistet und das zentrale Wahlversprechen eingehalten. So sei die Zahl der Arbeitslosen auf unter drei Millionen gesunken, sagt Merkel und gibt Gerhard Schröder noch eine mit: "Mein geschätzter Vorgänger" habe ja versprochen, die Arbeitslosenzahl zu halbieren, und sei mit "fünf Millionen aus dem Amt gegangen".

Immer wieder teilt Merkel gegen die Sozialdemokraten und Schröders rot-grüne Regierung aus: Mal geht es um die Aufnahme Griechenlands in die Euro-Zone, mal um die Aufweichung des Stabilitätspakts. Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen hält Merkel den verfassungswidrigen Haushaltsentwurf vor, dem rheinland-pfälzischen SPD-Ministerpräsidenten Kurt Beck das Schuldenmachen und die 180 Stellen, die Grün-Rot nach der Regierungsübernahme in Baden-Württemberg geschaffen hat. Sie blafft: "Machen Sie erst mal ihre Hausaufgaben und dann kommen Sie zurück." Die von der SPD propagierten Eurobonds lehnt sie ab - sie ebneten den Weg in die Schuldenunion. Solche Attacken kommen an, auch beim Gegner.

Wütend ruft Linken-Fraktionschef Gregor Gysi dazwischen, dass CDU-geführte Berliner Senate die Finanzen der Hauptstadt ruiniert hätten. Und SPD-Chef Sigmar Gabriel versucht immer wieder, einen Dialog mit der Kanzlerin in Gang zu bringen. Doch Merkel lässt sich nicht aus dem Tritt bringen.

Agil und aggressiv vertritt sie ihre Sache. Sie verhaspelt sich nicht, ballt die Fäuste und klopft sogar auf das Rednerpult. Es scheint fast so, als habe die Kanzlerin ihr Thema gefunden. Es heißt: Europa retten. Merkel sagt: "Dies ist die zentrale Aufgabe dieser Legislaturperiode."

Dann hebt sie zu einem Plädoyer für Europa an, das allen voran den Kohlianern gefallen dürfte: Der Altkanzler hatte zuletzt vehement auf die deutsche Verantwortung für das Wohl und Wehe der Union gepocht und mit seiner Unzufriedenheit aus der Europa- und Europolitik der Regierung keinen Hehl gemacht.

Merkel erklärt nun den Kontinent zur Schicksalsgemeinschaft: "Deutschland kann es auf Dauer nicht gutgehen, wenn es Europa nicht gutgeht." Sie nimmt Kohls Worte auf, der einmal sagte, dass Länder, die eine gemeinsame Währung haben, keine Kriege gegeneinander führen. Und sie postuliert: "Scheitert der Euro, dann scheitert Europa."

Merkel zeigt sich aber nicht nur kämpferisch, sondern auch ihre präsidiale Seite. Die Botschaft lautet: Ich habe Respekt vor dem Parlament und seinen Rechten - etwas, was Bundestagspräsident Norbert Lammert immer wieder einfordert. Auch die unter der großen Koalition verabschiedete Schuldenbremse lobt Merkel, was die Zwischenrufe aus der Opposition freilich nicht verstummen lässt. Merkel bringt das nicht aus der Ruhe.

Das sah während des Auftritts ihres Vorredners Steinmeier noch anders aus. Da saß die Kanzlerin stumm auf der Regierungsbank und blickte düster ins Plenum. In bester Oppositionsführermanier watschte Steinmeier die Regierung ab. Süffisant hält er der FDP vor, nach der Lehman-Pleite "gegen alles" gestimmt zu haben, was sich als richtig erwies. Er erwähnt die Steuererleichterungen für Hoteliers ebenso wie die Causa Guttenberg, kurz: "Fehlleistungen am Stück".

Wenn die Konjunktur gut laufe, dann nicht wegen dieser Regierung, sondern trotz dieser Regierung. Das bürgerliche Lager habe ihr "Wertegerüst geleert", Schwarz-Gelb stolpere orientierungslos herum, alle Welt wartet auf Berlin, doch von dort käme "dröhnendes Schweigen". Niemand in Europa spreche in solch einer Lage von Steuererleichterungen außer Schwarz-Gelb, dann höhnt er über FDP-Slogans wie "mehr Netto vom Brutto ".

Steinmeier sprach Merkel nur einmal an, am Beginn seiner Rede: Da kondolierte er ihr zum Tod ihres Vaters. Danach war der Sozialdemokrat sichtlich bemüht, die Kanzlerin nicht persönlich anzugreifen. Wenig später, als die Kanzlerin spricht, ist von Zaudern nichts zu spüren. Merkel sagt, eine weitere Änderung des EU-Vertrages sowie ein Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof gegen Defizitsünder dürften kein Tabu mehr sein.

In drastischen Worten mahnt sie, dass die Regierungen der 17 Euro-Staaten die Schuldenkrise meistern müssten. Es sei die historische Aufgabe dieser Generation, nicht das Erbe der Gründungsväter der Europäischen Union zu verspielen. "Jetzt ist es an uns, diese Erfolgsgeschichte fortzuschreiben und unseren Kindern und Enkelkindern ein intaktes Europa zu hinterlassen."

Eindringlich richtet sich Merkel auch an diejenigen im eigenen Lager, die von einer Rückkehr zur D-Mark träumen oder einem Ausschluss malader Euro-Länder aus der Währung. Deutschland könne die Krise auf eigene Faust bewältigen. Sie verwies auf die Schweiz, die gerade den Franken an den Euro gekoppelt habe. "Alle diejenigen, die mit EFSF und ESM nicht einverstanden sind, müssen eines wissen: Wir haben keine Diskussion am theoretischen Reißbrett, wie wir uns eine politische Union vorstellen." Jeder Schritt müsse sehr kontrolliert erfolgen, um keine Turbulenzen an den Finanzmärkten auszulösen.

Zugleich sieht Merkel ihren Regierungskurs durch das Bundesverfassungsgericht legitimiert, das die Klagen von Euro-Skeptikern gegen Griechenland-Hilfen abgewiesen hatte: Karlsruhe habe "uns heute Morgen absolut bestätigt", ruft Merkel.

Und die Kanzlerin wettert gegen die "falsche Philosophie" des Schuldenmachens. Sie erinnert daran, dass in Deutschland als erste Regierung die Große Koalition damit angefangen habe. Das ist eine Portion Selbstkritik. Schließlich war der damalige Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger Christdemokrat. Aber ebenso Schwarz-Gelb unter Helmut Kohl, der 16 Regierungsjahre weiter Schulden machte. Angela Merkel hat an diesen Entscheidungen persönlichen Anteil. Sie saß als Ministerin auch sieben Jahre an Kohls Kabinettstisch.

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