Süddeutsche Zeitung

Alfred Grosser und der Zentralrat der Juden:Der Eklat fällt aus

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Kein Ärger wegen Israel in der Frankfurter Paulskirche: Alfred Grosser spricht zum Gedenken an die Reichspogromnacht - und die Vertreter des Zentralrats der Juden bleiben sitzen.

Matthias Drobinski

Ist doch schön, sagt der Mann, der das alles verursacht hat. Schön, dass alle 900 Plätze der Frankfurter Paulskirche gefüllt sind. Schön, dass so viele Journalisten zu einer sonst nur lokal beachteten Gedenkveranstaltung der Stadt zum 9. November 1938 gekommen sind, wo solche Termine sonst als langweilig gelten.

"Kommen Sie wieder", ruft Dieter Graumann vom Marmorpult in den geschichtsgeladenen Rundsaal, was schon ein bisschen frech ist, denn die Journalisten und viele Bürger seiner Heimatstadt sind seinetwegen da. Er, der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, der in zwei Wochen Präsident werden will, hat gedroht, aufzustehen und zu gehen, sollte der geladene Redner Alfred Grosser allzu hart mit Israel ins Gericht gehen. Sein anderer Vize, Salomon Korn, hat sich dem angeschlossen.

So sitzen also alle da und warten, was Graumann machen wird. Der schaut in die Runde und dann den 85-jährigen jüdischen deutsch-französischen Politologen Grosser an, der immerhin von Graumann gesagt hat, er sei "der Schlimmste", wenn es darum gehe, Kritik an Israels Politik zu verhindern.

Der Gescholtene sagt zu ihm: "Wir stimmen darin überein, dass wir nicht übereinstimmen." Dann aber: "Ein Gedenktag ist kein Spektakel" und kein Ort, "persönliche Befindlichkeiten zu pflegen". Also: "Der Eklat fällt aus." Oberbürgermeisterin Petra Roth dürfte ein Stein vom Herzen gefallen sein, als Grosser und Graumann sich vor der Feier brav die Hand gaben.

Der Rest ist schnell erzählt: Graumann hält eine Rede, die allgemein als Bewerbungsrede für die anstehende Zentralratswahl empfunden wird: Das Gedenken an den Holocaust sei und bleibe wichtig, die jüdische Community müsse aber heraus aus der Leidensecke, als "trübsinnige Trauergemeinde" habe sie keine Zukunft. Da nickt Grosser, der dann seinerseits erklärt: Menschlichkeit sei, "das Leid der Anderen zu verstehen" das gelte für Israelis wie Palästinenser. Wobei er sich mit Israel zutiefst verbunden fühle, das aber seine Werte verrate, wenn es Menschen schlecht behandle.

Da kann hinterher auch Salomon Korn nur sagen, dass er das völlig in Ordnung findet, und alle kommen überein, dass es irgendwie doch eine würdige Veranstaltung gewesen sei und überhaupt das alles nur in Berlin aufgekocht worden sei, wo die Aufregung, in Frankfurt dagegen die Gelassenheit herrsche. Applaus also für alle, als Grosser endet. Salomon Korn klatscht, Graumanns Frau klatscht, er selber lässt zunächst die Hände ruhen. Seine Frau stößt ihn an, da klatscht er auch.

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Quelle:
SZ vom 10.11.2010
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