Süddeutsche Zeitung

Aktuelles Lexikon:Weisheit

Sie ist eine Kardinaltugend - und ein Geschäft für jedermann.

Von Karin Janker

Wer sich selbst für besonders klug hält, hat dem Volksmund nach die Weisheit mit Löffeln gegessen. Den Mund besonders voll genommen hat nun US-Präsident Trump, der auf Twitter nicht nur der Türkei gedroht, sondern im selben Atemzug seine "große und unvergleichliche Weisheit" herausgestellt hat, mit der er das Handeln der türkischen Regierung bewerten will. Etymologisch ist die Wurzel der Weisheit, das althochdeutsche "wīs", im 8. Jahrhundert belegt. Die Bedeutung indes schillert: Neun Unterkategorien der Weisheit kennt Grimms Wörterbuch; eindeutig ist aber ihr Wert: Sie ist "ein hohes, bedeutendes Wissen oder Sein". Philosophisch unterscheidet sich das Konzept der Weisheit von der pragmatischen Klugheit und dem theoretischen Wissen. Weisheit basiert auf Lebenserfahrung und Einsicht in den Sinn des Daseins. Seit Platon zählt sie zu den Kardinaltugenden und ist Kern der philosophischen Tätigkeit. Mittlerweile gelten aber nicht nur Philosophen als weise, das Streben nach Weisheit ist ein Geschäft für jedermann. So vertreibt etwa die Londoner Firma "The School of Life" Weisheits-Postkartensets, die Käufer zu einem "erleuchteteren Alltag" führen sollen. In einer Welt, in der Weisheit käuflich geworden ist, wundert es kaum, dass der US-Präsident die größte Weisheit von allen zu besitzen glaubt.

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Quelle:
SZ vom 09.10.2019
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