Süddeutsche Zeitung

Aktuelles Lexikon:Kleinstaaterei

Der Transit-Streit zwischen Bayern und Tirol erinnert an alte Zeiten.

Von Joachim Käppner

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) beklagt angesichts der Einschränkungen für ausländische Autofahrer im österreichischen Bundesland Tirol eine verkehrspolitische Tendenz zur Kleinstaaterei in Europa. Nun ist Bayern als deutsches Bundesland zwar kein Kleinstaat, aber so groß doch auch wieder nicht, und außerdem soeben mit dem Projekt einer Pkw-Maut gescheitert. Als Kleinstaaterei gelten in Deutschland Verhältnisse wie einst im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, das bis 1806 währte und aus einem Flickenteppich kleinerer und größerer, zum Teil zwergenhafter Herrschaftsgebiete bestand, die eifersüchtig auf ihre Eigenständigkeit pochten. Seit dem 18. Jahrhundert sprachen jene, die für eine deutsche Einheit waren, abwertend von Kleinstaaterei: Diese führe, im Gegensatz zur zentralistischen Großmacht Frankreich, zu Dauerstreit und Handlungsschwäche. In den Befreiungskriegen 1813 bis 1815 und während der gescheiterten Revolution 1848/49 galt die Kleinstaaterei als erklärtes Feindbild. In der Bundesrepublik wird der Begriff gern von Gegnern des ausgeprägten Föderalismus benutzt; Söder hat dies nun auf die EU erweitert. Der Philosoph Friedrich Nietzsche drückte sich übrigens weniger zurückhaltend aus: Staatliche Egoismen bezeichnete er als "Hornvieh-Nationalismus".

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Quelle:
SZ vom 26.06.2019
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