Süddeutsche Zeitung

Agrarpolititk und Tierschutz:Wider strengere Bauernregeln

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Auf ihrer Jahrestagung beklagen Landwirte das wachsende Misstrauen der Bevölkerung. Doch schärfere Gesetze, etwa bei der Tierhaltung, lehnen sie ab. Nur der Minister mahnt zur Selbstkritik.

Von Markus Balser, Erfurt

Wie groß die Wut unter Deutschlands Landwirten ist? Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) erfuhr das am Donnerstagmorgen schon vor dem alljährlichen Bauerntag. Seine Personenschützer hatten dem Redner Ramelow geraten, den Hintereingang zu nehmen - wegen der Proteste vor der Messehalle. Ramelow kam trotzdem zum Haupteingang und sah Hunderte Bauern bei einer Demo für höhere Preise und mehr Anerkennung. "Landwirtschaft ist kein Streichelzoo", stand auf einem Banner der Protestler. Und: "Schützt die Bauern vor den Grünen".

Die gereizte Stimmung in Erfurt steht für die immer größere Kluft zwischen Agrarbranche, Verbrauchern und Politik im ganzen Land. Immer neue Meldungen über umstrittene Praktiken drängen Landwirte in die Defensive. Der Einsatz von Antibiotika, das Kükenschreddern oder das Kastrieren von Schweinen ohne Betäubung empört immer mehr Verbraucher. Die Tierhaltung ist das große Thema, das die Bauern in diesem Jahr auf ihrem Jahrestreffen beschäftigt. Sie steht für mehr als 50 Prozent der Erlöse der Agrarbranche - und für jede Menge Ärger.

Den Bauern ist bewusst, dass in der Bevölkerung eine emotionale Debatte geführt wird: Warum werden Deutschlands Rinder-, Schweine- und Hühnerställe immer größer? Und vor allem: Wie geht es den Tieren dabei? Die Bauern befürchten längst weitreichende Folgen der Diskussion: "Die zunehmende Entfremdung von Gesellschaft und Landwirtschaft macht mir große Sorgen", sagt etwa Johannes Scharl, Ferkelzüchter aus Bayern.

Doch die Branche tut sich schwer im Umgang mit der Vertrauenskrise. Auf dem Bauerntag haben die etwa 600 Delegierten eine "Erfurter Erklärung" verabschiedet. Darin heißt es, ein Verbot von Eingriffen wie dem Abtrennen von Schwänzen und Schnäbeln bringe neue Probleme. Außerdem wird eine Obergrenze bei der Zahl der Tiere abgelehnt. Auch Bauernpräsident Joachim Rukwied lehnte schärfere Gesetze ab und verweist auf offene Fragen bei den Kosten. "Wir als Bauern sind bereit, für noch mehr Tierwohl zu sorgen - aber das muss dann natürlich auch honoriert werden." Thüringens Verbandspräsident Helmut Gumpert sieht gar eine "Schlacht" der Medien und Nichtregierungsorganisationen gegen seinen Berufsstand.

Doch dass es in der Tierhaltung nicht so weitergehen kann wie bisher, hat ein Beratergremium des Bundesagrarministeriums bereits im Frühjahr klargestellt - und tief greifende Änderungen angemahnt: Die Bedingungen, unter denen ein Großteil der Tiere gehalten wird, seien "nicht zukunftsfähig". Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) redete der Branche am Donnerstag ins Gewissen, wenigstens neue technische Methoden für mehr Tierschutz einzusetzen: "Die Zeiten, in denen die Arbeit von Landwirten in der Gesellschaft wie selbstverständlich anerkannt wird, sind vorbei. Die Gesellschaft fragt nach und fordert."

Der nächste Streit über die Agrarbranche ist derweil längst programmiert. Der wachsende Konkurrenzkampf um Landflächen in Deutschland. "Wir müssen den Flächenverbrauch reduzieren", fordert Agrarminister Schmidt - vor allem in anderen Sektoren. Es sei nicht hinzunehmen, dass täglich 70 Hektar wertvolles Ackerland etwa für Straßen- und Siedlungsbau verloren gingen. "Wir wollen landwirtschaftlichen Boden erhalten, um uns ausdehnen und entwickeln zu können." Thüringens Ministerpräsident Ramelow warnt vor den Folgen stark gestiegener Bodenpreise: "Es besorgt mich, wenn internationale Hedgefonds hier in Größenordnungen Zehntausende Hektar kaufen wollen." Da könnten örtliche Bauern nicht mithalten. Es stehe ihre Existenz sowie die Lebensqualität auf dem Land auf dem Spiel.

Die Landwirte selbst sehen ihr Geschäft aus ganz anderem Grund in Gefahr. Bauernpräsident Rukwied beklagte am Donnerstag "brutale" Folgen der Russland-Sanktionen. Das Embargo Russlands sei Hauptursache dafür, dass die Preise für Schweine eingebrochen und die Milchpreise kräftig unter Druck geraten seien. "Am Ende sind die Bauernfamilien die Leidtragenden." Russland hatte als Reaktion auf Sanktionen des Westens wegen der Ukraine-Krise vorigen Sommer einen Importstopp für Lebensmittel verhängt.

Selbstkritische Töne sind auf dem Bauerntag nur selten zu hören. Nur einmal kurz: "Wer sich nicht verändert, wird verändert", sagt Agrarminister Schmidt noch. Und: Der Druck der Gesellschaft wachse.

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SZ vom 26.06.2015
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