Süddeutsche Zeitung

Konflikte:Nicht genug Visa für die USA

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Afghanen, die für das US-Militär gearbeitet haben, werden von den Taliban bedroht. Zwar bieten die USA ihren früheren Helfern besondere Visa an für die Übersiedlung nach Amerika - aber offenbar nicht genug.

Von Christian Zaschke, New York

Für Afghanen, die der US-Armee als Übersetzer oder in anderer Funktion gedient haben, gibt es zwei Zahlen, die beunruhigend sind. Die erste Zahl: Mehr als 18 000 Afghanen warten laut der US-Botschaft in Kabul derzeit auf einen Bescheid bezüglich ihrer Bewerbung um ein Special Immigrant Visa (SIV.), also ein Visum zur Übersiedlung in die USA, das ihnen für ihre Arbeit in Aussicht gestellt wurde. Die zweite Zahl: Es sind in dem Programm derzeit nur noch knapp 11 000 Plätze vorhanden.

Das bedeutet nach jetzigem Stand, dass nach dem Abzug der US-Truppen, der spätestens im September vollzogen sein soll, Tausende Afghanen, die für die USA gearbeitet haben, in ihrem Heimatland zurückbleiben könnten. Für viele von ihnen könnte das einem Todesurteil gleichkommen.

Angehörige des US-Militärs haben die Übersetzer oft als "Augen und Ohren" der amerikanischen Truppen gepriesen. Ohne sie wären keine Verhandlungen mit örtlichen Führern möglich gewesen. Ohne sie wären die Verhöre von Taliban-Kämpfern nicht möglich gewesen. Dennoch kämpfen viele Hilfskräfte seit Jahren um ein Visum, und seit US-Präsident Joe Biden im April angekündigt hat, sämtliche Truppen bis zum Herbst abzuziehen, ist die Lage für sie bedeutend bedrohlicher geworden.

Anfang der vergangenen Woche haben die Taliban eine Erklärung veröffentlicht: Die Übersetzer hätten nichts zu befürchten. Sie sollten lediglich Reue für ihre Taten zeigen und künftig nicht mehr für das US-Militär arbeiten. Zur Glaubwürdigkeit dieser Aussage trägt nicht eben bei, dass die Taliban im vergangenen Jahr laut US-Angaben gezielt Zivilisten und Sicherheitsleute getötet haben sollen.

Der ehemalige Übersetzer Shoaib Walizada sagte der New York Times, er gehe davon aus, getötet zu werden, falls er kein Visum erhalte. "Ich bekomme Anrufe von den Taliban, in denen sie sagen, dass sie mich töten werden", sagte er, "sie wissen, wer ich bin und dass ich für die Amerikaner gearbeitet habe."

Walizada hat von 2009 bis 2013 übersetzt. Eigentlich hätte er ein Visum erhalten sollen, alles war auf dem Weg, doch dann erfuhren die zuständigen Behörden, dass er sich während eines Einsatzes unter Verwendung eines Schimpfwortes darüber beschwert habe, dass seine Sicherheitsweste zu klein sei. Daraufhin sei das Visum laut New York Times mit dem Hinweis auf "unprofessionelles Verhalten" zurückgezogen worden. Fälle wie dieser, in denen Visa wegen vermeintlicher Kleinigkeiten nicht gewährt würden, gebe es in großer Zahl.

Mittlerweile hat sich die Politik in Washington eingeschaltet. Im Mai hatten 20 Senatoren beider Parteien in einem Brief an Präsident Biden darauf hingewiesen, dass die afghanischen Mitarbeiter amerikanische Leben gerettet hätten. Die Senatoren forderten, das Visum-Programm um 20 000 Plätze aufzustocken.

Zudem schlugen sie vor, die Bewerber in ein sicheres Drittland zu bringen, bis über die Anträge entschieden worden sei. US-Außenminister Anthony Blinken sagte kürzlich vor einem Ausschuss im Abgeordnetenhaus, dass ein solches Vorgehen zumindest nicht ausgeschlossen sei.

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