Süddeutsche Zeitung

Äthiopien:Kampfbomber für die Einheit

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Äthiopiens Ministerpräsident galt als Reformer und Versöhner, nun schickt er Soldaten in den Krieg. Womöglich wurde er voreilig mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.

Von Bernd Dörries, München

Es gibt Löwen und Eiscreme, es gibt einen Keller, in dem die Bilder und Schautafeln erklären, wer hier früher wen gefoltert hat. Kaiser Haile Selassie sitzt als Wachsfigur in seinem alten Palast, ein paar Meter weiter hat jede der neun Regionen Äthiopiens einen kleinen Pavillon bekommen, meist in futuristischer Architektur. Unter geschwungenen Dächern ist ausgestellt, was jede Volksgruppe so besonders macht, ihre Kleider und Traditionen, ihre Tänze und Musik.

Vor einem knappen Jahr eröffnete Äthiopiens Ministerpräsident Abiy Ahmed den "Unity Park", auf 2400 Meter gelegen, mit einem grandiosen Ausblick auf die Hauptstadt Addis Abeba. Und auch auf die hoffnungsfrohe Zukunft. So dachte man damals.

Der Park ist eine Art Disney-Version dessen, wie sich Abiy, 44, sein Äthiopien vorstellt. Auf dem Gelände des Kaiserpalastes entstand ein 160 Millionen Dollar teures Ensemble, das einen Bogen spannt von der Kaiserzeit über die kommunistische Diktatur und die Herrschaft der Einheitspartei bis in die Gegenwart, das Land als harmonische Einheit aus neun Regionen, 50 Völkern und 45 verschiedenen endemischen Baumarten.

Als der Park 2019 eröffnete, wurde Abiy auch gleich noch mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, alles schien gut zusammenzupassen. Nur ein Jahr später wirkt der Park wie eine naive Wunschvorstellung, von der Idee des harmonischen Vielvölkerstaates ist wenig zu sehen. Kampfbomber fliegen über das Land, es gibt Kämpfe am Boden. Und es stellt sich die Frage, ob Abiy in die Reihe derer gehört, die den Nobelpreis etwas voreilig bekamen. Oder zu Unrecht.

Milizen sollen Massaker an Zivilisten verübt haben

"Krieg ist die Ausgeburt der Hölle", hatte Abiy bei der Verleihung des Nobelpreises gesagt. Und doch hat er dieser Tage einen Krieg begonnen, gegen das eigene Volk, er hat Truppen in die nördliche Provinz Tigray geschickt, Kampfbomber fliegen Luftangriffe, Bodentruppen gehen gegen lokale Milizen vor. Es gibt unbestätigte Berichte über Massaker an der Zivilbevölkerung.

Abiy verteidigte den Einmarsch damit, dass von dort an der Untergrabung staatlicher Souveränität gearbeitet werde, im September wurde in Tigray gewählt, obwohl die Zentralregierung dies in Zeiten der Pandemie untersagt hatte. Lokale Milizen hätten schließlich versucht, aus den Depots der Bundesarmee Waffen zu stehlen, das habe ihm keine andere Wahl gelassen.

Der Konflikt mit Tigray war lange absehbar, die Bevölkerung der Region stellt etwa sechs Prozent der 115 Millionen Einwohner Äthiopiens, in den vergangenen Jahrzehnten bildete sie aber die politisch-ökonomische Elite des Landes. Das änderte sich mit Abiys Amtsantritt, er ist der erste Ministerpräsident der Oromo, der größten Volksgruppe, die sich seit Jahrzehnten zurückgesetzt fühlte. Abiy entfernte viele Tigray aus hohen Positionen, Korruptionsverfahren wurden eröffnet, Führer der Tigray weigerten sich, Abiys Allianz der "Wohlstand-Partei" beizutreten, einige arbeiteten offen auf eine Abspaltung von Äthiopien hin.

Tausende fliehen vor Kämpfen in den benachbarten Sudan

Internationale Vermittlungsappelle verhallen bisher ungehört, der Konflikt droht auf die Nachbarstaaten überzugreifen. Tausende Äthiopier sind in den Sudan geflohen, Eritrea, das eher auf der Seite Abiys steht, soll bereits Truppen an der Grenze zusammengezogen haben. Nach Schätzungen gibt es in Tigray eine 250 000 Mann starke Miliz, deren Bewaffnung aber unklar ist, sie soll nach Berichten von Augenzeugen an einem Massaker an der Zivilbevölkerung beteiligt gewesen sein.

"Ich habe Brüder Brüder abschlachten sehen", hatte Abiy in Oslo gesagt, er hatte selbst im sinnlosen Krieg gegen den Nachbarn Eritrea gekämpft. Und schlägt nun doch den gleichen Weg ein. Auch wenn er es anders sieht und davon spricht, keine andere Wahl zu haben, als auf die Bedrohung der Einheit Äthiopiens zu reagieren.

Die Vision eines einigen Vielvölkerstaates ist das zentrale Thema Abiys, der zu Beginn seiner Amtszeit mit drastischen Reformen begeisterte, der politische Gefangene freiließ, Frieden mit Eritrea schloss und demokratische Wahlen ankündigte. "Liebe" war das Wort, das der militante Anhänger einer Pfingstkirche am meisten benutzte.

Sein Regierungsstil hat etwas Missionarisches, "Harmonie" nannte er sein Buch, die Bibel seiner politischen Überzeugungen, die er Hunderttausendfach unter das Volk brachte. Er argumentiert, dass das Projekt Äthiopien nur gelingen könne, wenn sich alle Volksgruppen davon lösten, zuerst an sich selbst zu denken. "Wenn ihr der Stolz eurer Generation sein möchtet, dann entscheidet, dass Oromo, Amhara, Wolayta, Gurage und Silte alle gleichmäßig Äthiopier sind", schrieb Abiy. Eine Idee, mit der viele Äthiopier in der Theorie etwas anfangen konnten.

In der Praxis tat Abiy wenig, um eine breite Allianz der Unterstützer zu bilden und Kompromisse auszuhandeln zwischen den Regionen. Er reagierte beleidigt, wenn seine Visionen nicht sofort bei allen Beifall fanden. Wenn es aus seiner Sicht zu viel Kritik gab, griff er auf Methoden zurück, die er einst als Geheimdienstler gelernt hatte. Er lässt das Internet abschalten, wenn es brenzlig wird, lässt Journalisten und politische Konkurrenten verhaften, wenn sie anderer Meinung sind. Selbst in seiner Volksgruppe der Oromo schwindet die Zahl seiner Unterstützer, auch dort verhallt die Botschaft der Liebe immer öfter ungehört.

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