Süddeutsche Zeitung

Zugunglück in Italien:"Als wenn ein Flugzeug abgestürzt wäre"

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Von Oliver Klasen

Die Bilder, die man auf italienischen Nachrichtenseiten und im Fernsehen sieht, zeigen zwei Züge, oder besser das, was von ihnen übrig ist. Zu sehen sind zerborstenes Metall, aufgeschlitzte Waggons, abgetrennte Fensterfronten, ein Haufen voller Trümmer, der rechts und links der Strecke in einem Olivenhain verteilt ist.

Viele werden sich an das Zugunglück von Bad Aibling erinnert fühlen, bei dem zwölf Menschen starben. Wie damals sind es zwei Regionalzüge, wie damals ist es eine eingleisige Strecke - auch wenn im Falle des Unglücks, das sich in Süditalien ereignet hat, der Hergang noch völlig unklar ist.

Schwer erreichbare Unglücksstelle

Fest steht: Es ist das folgenschwerste Zugunglück in Italien seit Jahrzehnten. Mindestens 27 Menschen sind tot, weitere 50 verletzt, davon viele lebensgefährlich. Die Behörden fürchten deshalb, dass die Zahl der Opfer noch weiter steigt. Auch mindestens einer der Zugführer soll ums Leben gekommen sein.

Gegen 11.30 Uhr am Vormittag prallen beide Regionalzüge etwa 40 Kilometer westlich der Hafenstadt Bari frontal aufeinander, auf der eingleisigen Strecke zwischen den Orten Corato und Andria. Krankenwagen und Rettungstrupps eilen zur Unfallstelle, die abgelegen und für Fahrzeuge relativ schwer erreichbar ist. Helfer bauen auf einem Feld neben dem Unglücksort ein Feldlazarett auf. Feuerwehrleute ziehen Verletzte aus dem Wrack, auch ein kleines Kind können sie retten. Einige Insassen aber können sie nur noch tot bergen.

Immer schneller werden die Opferzahlen nach oben korrigiert. Nach und nach wird das ganze Ausmaß der Katastrophe klar. "Das war der schlimmste Anblick meines Lebens", sagt ein Polizist, der als erster am Unfallort eingetroffen sein soll. "Ich habe Tote gesehen, andere, die um Hilfe riefen, Menschen, die weinten", mit diesen Worten zitieren ihn italienische Medien. Coratos Bürgermeister Massimo Mazzilli schreibt auf Facebook: "Es ist eine Katastrophe. Als wenn ein Flugzeug abgestürzt wäre."

In den umliegenden Kliniken wird der Alarmzustand ausgelöst und die Bürger zur Hilfe aufgerufen. Im Krankenhaus der 100 000-Einwohner-Stadt Barletta stehen schon wenige Stunden nach dem Unglück mehr als 100 Menschen Schlange, um Blut zu spenden, schreibt die Zeitung Il Messaggero.

War es menschliches Versagen? War es ein technischer Defekt?

Die Strecke, auf der das Unglück passierte, wird von dem privaten Eisenbahnunternehmen Ferrotramviaria betrieben und mit kleinen, meist vierteiligen Triebwagenzügen befahren. Genutzt werden sie vor allem von Berufspendlern und Schülern.

Ministerpräsident Matteo Renzi bricht eine Rede in Mailand ab, als er von dem Unglück hört. Den Angehörigen spricht er sein Beileid aus. "Wir werden alles daran setzen, aufzuklären, was passiert ist und wer dafür verantwortlich ist", sagt Renzi, der am Abend den Unfallort aufsuchen will.

Schon wenige Stunden nach dem Unglück beginnen die Spekulationen. War es menschliches Versagen? War es ein technischer Defekt? Nichts weiß man, nichts kann man wissen. Und so sprechen Menschen wie Massimo Nitti, der Betreiber der Bahngesellschaft - geschockt von den Ereignissen und verzweifelt nach Erklärungen ringend, Selbstverständlichkeiten aus: Klar sei, dass "einer der Züge nicht hätte dort sein sollen".

(mit Material der Agenturen)

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